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20blue minutes #06: Arndt Ginzel

20blue hour
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26 Plays2 years ago

Die sechste Folge der 20blue minutes setzt unsere Reihe zu Arbeitsbedingungen im Journalismus fort, diesmal mit besonders extremen Arbeitsbedingungen: der Journalist Arndt Ginzel reiste im Februar mit dem Kameramann Gerald Gerber für eine Berichterstattung in die Region um Mariupol. Vor Ort erlebt er direkt den Beginn des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine und berichtet seitdem für mehrere Nachrichtenredaktionen direkt aus den Kriegsgebieten.

Im Gespräch mit Anja Mutschler berichtet Arndt Ginzel über seine Erfahrungen in der Ukraine, aber auch außerhalb davon und warum er sich eigentlich nicht als Kriegsreporter sieht, sondern diese Art der Berichterstattung für ihn manchmal einfach zum Journalismus dazugehört.

Der aktuelle Beitrag von Arndt Ginzel für das ZDF-Magazin frontal, „Die Straße des Todes“, ist in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli um 0:45 Uhr im ZDF zu sehen und kann bereits jetzt in der Mediathek gestreamt werden: 

https://www.zdf.de/politik/frontal/dokumentation-die-strasse-des-todes-kriegsverbrechen-in-der-ukraine-vom-7-juli-2022-100.html

Abonnieren Sie den Feed der 20blue hour, in dem Anja Mutschler mit Expert:innen über aktuelle gesellschaftliche Debatten spricht. Eine Denkzeit für Audiophile, deren Namen eine Hommage an die „blaue Stunde“ ist. Jene Zeit zwischen Tag und Nacht, in der vieles möglich ist. Unsere 20blue minutes ergänzen die vollständigen Folgen mit kürzeren und aktuellen Gesprächen.

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Transcript

Einführung und Vorstellung von Anja Mutschler

00:00:04
Speaker
20 Blue Minutes, der kleine Podcast vom Research Institut 20 Blue.
00:00:14
Speaker
Hallo und herzlich willkommen zum kleinen Podcast von 20Blue. Mein Name ist Anja Mutschler und ich habe da mal eine Frage.

Arne Ginzel und sein Film über die Ukraine

00:00:24
Speaker
Und zwar heute an Arne Ginzel, Kriegsjournalist, der jetzt gerade aus dem Schnittstudio quasi kommt, um einen langen Film über seine Erlebnisse in der Ukraine in den letzten Monaten zu verarbeiten, wo du ja einige Male warst. Ich bin sehr froh, Arne, dass das klappt. Hallo und herzlich willkommen zu diesem Podcast.
00:00:44
Speaker
Ja, ich freue mich dabei zu sein. Ja, das ist für mich ein Podcast, der so ein bisschen unter die Haut geht, denn das Thema Ukraine-Krieg hat mich, da habe ich ja im letzten Podcast auch schon ein wenig erzählt, ziemlich erfasst auf einer ganz basalen emotionalen Ebene. Ich kann das bis heute auch nicht 100 Prozent begründen, was es war, aber es waren irgendwelche
00:01:14
Speaker
Verbindungen, diese Bilder, die ich gesehen habe, dass ich den Eindruck hatte, das sind wirklich
00:01:21
Speaker
Menschen wie du und ich, die aus der Normalität rausgerissen werden und schockiert sind davon.

Emotionale Eindrücke vom Ukrainekrieg

00:01:30
Speaker
Du hast gerade, wie ich schon sagte, diesen Film, Straße des Todes, fertig geschnitten. Der erscheint am 6. Juli nachts, 0045, wenn ich das richtig notiert habe. Und ich habe den mir schon mal angucken dürfen. Vielen Dank dafür. Und dieses unter die Haut gehende
00:01:48
Speaker
Das ist auch so, dass die Leute vollkommen aus der Normalität rausgerissen worden sind. Erzähl uns noch mal ein bisschen, wie dir als Mensch das dort ging, als du auch im Schnittstudio gezahlt und die ganzen Bilder noch mal durchgegangen bist. Wie geht es dir heute damit? Es kommt selten vor, dass man im Schnitt sitzt und quasi so nachhaltig davon bewegt ist, dass man dort schneidet, was man dort textet.
00:02:20
Speaker
wie es also gerade bei diesem Projekt, bei diesem Film war, hängt sicherlich auch mit der Entstehungsgeschichte des Films zusammen. Wir waren ja, also Gerald Gerber, mein Kameramann und ich, recht früh in der Ukraine, Tage bevor der Krieg ausbrach und haben sozusagen selber erlebt, wie etwas Alptraumartiges Haftes dort über dieses Land
00:02:48
Speaker
haben, die Menschen überhaupt nicht verstanden, wir auch nicht, dass wir plötzlich an dem Morgen aufwachen und Krieg herrscht. Und das spiegelt sich natürlich auch ein Stück weit in diesem Film wieder, den wir jetzt hier produziert haben.
00:03:08
Speaker
wo Menschen aus Kiev in Vororte geflohen sind, weil sie dachten, sie wären dort sicher vor den Angriffen der russischen Luftschläge und sind dort quasi überrollt worden von der Armee, von russischen Streitkräften, die vom Norden aus Richtung Kiev zogen.
00:03:29
Speaker
Und haben versucht, aus diesen Orten rauszukommen und sind quasi, so haben wir das in den Bildern gesehen, die uns vorliegen. Das haben auch die Zeugen, die Opfer, die Überlebenden erzählt, eben geschossen worden. Es sind Menschen gestorben, es sind Familien zerrissen worden, zerstört worden. Und das haben wir quasi jetzt alles noch mal so im Schnitt durchlebt.
00:03:57
Speaker
Und ich als Zuschauerin ehrlich gesagt auch. Also gut gemacht, aber man wünscht sich, man müsste solche Filme nicht drehen, denke ich.

Herausforderungen im Kriegsjournalismus

00:04:07
Speaker
Jetzt spreche ich mit dir unter dem größeren Thema Arbeitsbedingungen im Journalismus auch. Also es ist eine für mich auch interessante Kombination an Themen, die wir besprechen können heute. Journalismus ist, finde ich, in dem Begriff oder dem Berufsbild des Kriegsjournalisten wie in einem Brennglas fast alle journalistischen Eigenschaften zusammen, die du brauchst. Also diese Unerschrockenheit.
00:04:37
Speaker
die du ganz sicher mitbringst. Du hast wahrscheinlich auch mehrere Situation erlebt, wo du
00:04:43
Speaker
spruchbuchstäblich um dein Leben gefürchtet hast. Du wahrscheinlich auch Verwandte, die sich immer wieder fragen, Arndt, was tust du? Und du das aber wirklich wahrscheinlich für dich vor vielen Jahren entschieden hast, dass diese Suche nach Wahrheit auch in diesen Bereich reinführen muss, in dem wir allermeisten nicht reingehen. Also das Raus aus der Komfortzone extendet. Das ist ja noch mal eine ganz extreme Variante im Krieg, wo es um Leben und Tod buchstäblich geht und auch
00:05:14
Speaker
Diese Herausforderung, eine Objektivität, also den Blick zu haben und eine Empathie, das stelle ich mir sehr, sehr herausfordernd vor. Möchtest du uns mal erzählen, wie du in dieses Berufsbild reingekommen bist? War das früh da? Wusstest du mit zwölf ich wert Kriegsjournalist?

Arne Ginzels Anfänge im Kriegsjournalismus

00:05:33
Speaker
War das ein Zufall? Und wenn ja, würde mich interessieren, was das für ein auslösendes Ereignis war.
00:05:41
Speaker
Ich bin kein Kriegs- und Krisenreporter oder Journalist. Ich sehe das als einen Teil meiner Arbeit einfach an. Meine Laufbahn als Journalist begann während meines Studiums. 1995 bin ich das erste Mal in ein Kriegsgebiet gefahren, um darüber zu berichten, was dort passiert. Das war damals der Bosnienkrieg.
00:06:09
Speaker
Einfach aus einer relativ profanen Situation heraus. Ich war dort unterwegs in Flüchtlingscamps und habe Menschen interviewt und mich hat es natürlich schon interessiert, wie sieht das wirklich aus dann in den Orten. Das war damals Mos da gewesen, eine bosnische Stadt.
00:06:30
Speaker
Ja, also es war Teil meiner Arbeit. Ich versuche, die Regeln anzuwenden, die ich sonst auch an meiner journalistischen Tätigkeit anwende. Das heißt, das Wichtigste sind halt Belege. Man muss immer wieder versuchen, sich von Gefühlen vielleicht auch frei zu schwimmen. Ich maße mir auch nicht an, über die gesamte Frontlinie jetzt wieder bezogen auf die Ukraine zu sagen, was überall passiert. Ich kann nur darüber berichten, was ich selber sehe und was ich selber belegen kann.
00:07:00
Speaker
Und ja, also ich würde jetzt auch mich nicht als besonders fruchtlos oder so beschreiben. Wir haben alle Angst, wenn wir dort unterwegs sind. Ja, wir fürchten auch um unser Leben. Und da ist eine große Logistik drum herum von Kollegen, die uns da helfen, durchzublicken, wo wir hinfahren können, was wir machen können, wie sich Fronten verändern. Aber Krieg ist natürlich immer eine besondere Herausforderung, weil du nicht die Möglichkeit hast, da mal
00:07:29
Speaker
die Fronten zu wechseln, vor allen Dingen jetzt hier in diesen Krieg. Es ist halt sehr schwierig, auf die austro-karajinische Seite, auf die separatistische Seite zu gelangen oder von der russischen Seite her zu berichten. Also man kann nicht hin und her fahren, sondern man hat sozusagen den Blick von der Seite, auf der man gerade steht. Das ist halt grundsätzliches Problem. Das muss man transparent machen, man muss zeigen, man muss darüber sprechen.
00:07:58
Speaker
Und wir versuchen beispielsweise, soweit es geht, eben nicht embedded irgendwo mitzufahren, sondern weitgehend unsere Fahrten, unsere Recherchen unabhängig durchzuführen. Erkläre das vielleicht nochmal? Man könnte ja theoretisch sagen, es gibt ja ständig Reisen, beispielsweise auch von der ukrainischen Militär, dass sie sagen, ja, wir haben eine Journalistenreise an den und den Frontabschnitt oder dieses oder jenes.
00:08:28
Speaker
hat natürlich den Vorteil, dass man das andere, die Logistik und so weiter stellen, dass man relativ sicher mitfahren kann, wirkt natürlich immer die Gefahr, dass man letzten Endes nur das zu sehen bekommt, was quasi von der Armee auch gewünscht ist.
00:08:51
Speaker
Und vor dem Hintergrund versuchen wir eben weitgehend mit den Leuten, mit denen wir dort in der Ukraine zusammenarbeiten, das sind Besitzer, Stringer, uns einfach so zu bewegen, dass wir eben möglichst wenig, dass wir uns selber, also selbstständig ein Bild von der Situation machen.
00:09:10
Speaker
Das hört sich aber nicht so an, als ob du das zum ersten Mal machst. Also du scheinst schon gut zu wissen, worauf muss ich achten, wo muss ich mit dieser Logistik oder mit abschätzen so können, wem kann ich vertrauen, wem nicht und wo sind Grenzen des journalistisch-objektiven Arbeitens.

Präzision und Beweislage im Film

00:09:26
Speaker
Also das ist ja schön benannt, eine gewisse
00:09:28
Speaker
Subjektivität bleibt, weil du nicht das Vier-Augen-Prinzip anwenden kannst. Du kannst nicht einfach die Gegenseite fragen. Ich fand das an dem Film tatsächlich sehr beeindruckend, wie detailreich ihr auch Belege beschaffen habt, um Routen nachzuvollziehen oder Personen zu identifizieren. Auch das hat dem Ganzen, fand ich, gutgetan, weil wir
00:09:54
Speaker
die Aufregung, die dieser Krieg insgesamt verursacht, weil er ja eine riesige Systemfrage und damit so eine globale Verunsicherung hervorruft. Und man an dieser Stelle ja selten genau hinguckt, sondern sich zu großen Urteilen hinreißen lässt. Das fand ich einen ganz guten Kontrapost, stelle ich mir aber auch extrem aufwendig vor. Also so eine russische Militärzeitschrift beispielsweise zu identifizieren, wo dann dieser eine Typ abfotografiert ist, solche Sachen.
00:10:24
Speaker
zu organisieren, halte ich schon irgendwie für eine Herausforderung. Du warst ja auch schon in Syrien, das hattest du mir erzählt. Du kennst den Donbass seit 2014. Das ist bei dir jetzt auch ein Jahrzehnt Erfahrungen, mindestens was da drin zu stecken scheint, in dem, wie du dich heute als in Kriegsgebieten unterwegs sein der Journalist verstehst. Also es war 2015.
00:10:51
Speaker
als wir in Donetsk und in Luchanz waren. Aus Lüse war damals, wir hatten Hinweise darauf, dass Kinder an der Front eingesetzt werden, Kindersoldaten. Es gab da nur ein Video, was irgendwo auf einer Separatistenseite verbreitet wurde. Und es gab, glaube ich, mal irgendwo einen Halbsatz in einem OSZD-Bericht, die dort täglich Berichte geschrieben haben.
00:11:20
Speaker
OCD-Mission und wir hatten halt das Glück, durch viele Unterstützer und auch durch Zufälle dann tatsächlich nach Donetsk zu gelangen und von da aus dann nach Luhansk zu fahren. Es war ein gänzlich anderes Arbeiten als in der Ukraine damals. Es war damals schon ein schwer kontrolliertes Mediensystem, geschlossenes Mediensystem.
00:11:46
Speaker
wo du nicht mal eine Kamera auspacken kannst, bevor du nicht akkreditiert bist und wo es dann noch mal Unterschiede zwischen Donets und Luchanz gab. Luchanz war fast unmöglich. Wir sind dann nach dem Interview, also wir haben mit zwei Jungs gedreht, die in Militäruniform waren, als Helden dort uns präsentiert wurden in einer Kadettenschule, weil sie an einer der blutdicksten Schlachten teilgenommen hatten.
00:12:12
Speaker
Und nach dem Interview sind wir dann verhaftet worden von dem Geheimdienst dort. Nur durch das Engagement eines sehr mutigen Menschen sind wir dort wieder rausgekommen und das Ganze wurde eben dann nicht so im Fall für das Auswärtige Amt. Also es war sehr riskant.
00:12:35
Speaker
Die Menschen, die uns dann dort geholfen haben, die mussten Jahre später dann auch aus der Ostukraine fliehen, sind mittlerweile Gott sei Dank in Deutschland. Und wenn ich so diese beiden Seiten vergleiche,
00:12:50
Speaker
dann empfinde ich es als sehr frei. Also ich kann recht frei auf der ukrainischen Seite arbeiten. Wir haben auch sehr kritisch schon über die Ukraine in den Jahren davor berichtet. Und wenn ich das vergleiche, es ist wirklich schwer zu vergleichen. Das eine ist halt wirklich ein sehr kontrolliertes Mediensystem, das andere ist relativ offen.
00:13:09
Speaker
auch wenn es dort Einschränkungen gibt in der täglichen Verstattung, die einfach aus dem Krieg heraus resultieren.

Story-Pitching an MDR und ZDF

00:13:19
Speaker
Und du bist freier Reporter, du hast ein Journalistenbüro, du bietest dann
00:13:25
Speaker
Geschichten an, vereinbarst du das vorher? Also sagst du hier, ich habe eine Geschichte und ihr zahlt mir die Reise oder gehst du auf Reisen und sagst hinterher, ich habe die Geschichte, wer kauft sie? Das war mal eine ganz praktische Frage, die mich schon lange interessiert.
00:13:41
Speaker
Naja, wir haben Redaktionen, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten, schon seit ganz, ganz vielen Jahren. Das eine ist die Redaktion EXACT beim MDR und ARD FACT, was ja auch von MDR produziert wird.
00:13:57
Speaker
Und das andere ist Frontal, also ZDF Frontal als zweiter Partner, ZDF Zoom. Und es gibt Geschichten oder es gibt Fälle, wo die Redaktionen auf uns zukommen, Fragen, könnt ihr da mal hinfahren oder könnt ihr da mal gucken, was da los ist.
00:14:15
Speaker
Und ich würde sagen, die meisten Beiträge bieten wir selber an. Das heißt, wir recherchieren, fragen nach, ist das von Interesse oder nicht Interesse. Und dann bekommen wir den Auftrag eben oder auch nicht. Das ist eigentlich so das Häufigste, dass wir die Themen schon selber irgendwie recherchieren.
00:14:37
Speaker
und anbieten. Hat den Vorteil, dass wir machen können, was uns natürlich auch interessiert, muss ich auch sagen. Hat einen riesen Vorteil. Als der NSU aufgedeckt wurde, war es so, dass die Redaktion auf uns zugekommen ist. Es ist zu einem recht frühen Zeitpunkt, da dachten alle noch, das ist eine Boulevard-Geschichte, da flogen
00:14:57
Speaker
in Thüringen flog ein Wohnmobil in die Luft und in Zwickau eben ein Haus. Und zu dem Zeitpunkt ahnte keiner, was die Hintergründe dieser Geschichte sein könnte. Und dann sind wir halt nach Zwickau gefahren und es war auch so, dann stockt einem der Atem, wenn man plötzlich merkt, das ist eine Sähe von rechtsextremen Mordtaten, rechtsterroristischen Mordtaten und jeden Tag kam was anderes dazu.
00:15:26
Speaker
Das ist auch so etwas, was einen bis heute fassungslos macht. Also ich empfinde das bei dir, diese Suchende und auch offen bleiben, also als ein wichtiges Element. Also du scheinst ja, weiß nicht, ob das jetzt bei dir Typ-Sache ist, wahrscheinlich schon, aber wie wichtig ist es denn aus deiner Sicht, dass man immer wieder sich korrigiert im Sinne der vorgefertigten Meinung? Also jetzt gerade
00:15:53
Speaker
bei solchen kritischen, theoristisch-kriegerischen Themen, da geht es ja sehr schnell, dass man, ob man will oder nicht, in so einen Meinungsmoment bei sich selber verfällt. Falls das bei dir auch so ist, gibt es eine Strategie, rauszukommen?

Bedeutung von Beweisen im Journalismus

00:16:07
Speaker
Oder bist du einfach gesegnet damit, immer im Zweifelmodus bleiben zu können? Na ja, was mich immer wieder in klare Schranken weist, ist natürlich die Frage nach dem Belegen. Und das, was ich nicht belegen kann, das kann ich auch nicht behaupten.
00:16:24
Speaker
Leute, hör zu, so geht guter Journalismus. Ja, das werden wahrscheinlich alle meine Kollegen. Das gehört zu unserem Handwerkszeug letztlich dazu.
00:16:34
Speaker
Und dann muss ich mir bewusst sein, wo beginnt meine Meinung. Und ich bin jetzt nicht der Meinungsstärkste. Ich bin auch auf Twitter und so weiter, aber ich habe da manchmal zu viel Zweifel in mir, als dass ich das in ein paar Zeilen packen kann. Vielleicht ist es auch eine Unfähigkeit.
00:16:58
Speaker
Und bin mir aber meiner Meinung schon bewusst. Also mir ist klar, wenn ich hier sehe, in einer Stadt wie Harkiv, da werden ohne Not Wohnblöcke geschossen, von früh bis abend. Dann empfinde ich das als ein Verbrechen. Dann sage ich, wie soll ich hier das jetzt nüchtern betrachten? Und klar, ich versuche auch noch Erklärungen zu suchen, versuche zu verstehen, gibt es da eine militärische Logik dahinter? Ist das militärisch notwendig? Weil ich mich natürlich auch ein Stück weit gegen dieses
00:17:28
Speaker
Wie soll man sagen, monströse Versuche zu wehren? Oder jetzt in dem Film, den wir jetzt gemacht haben, warum schießen die auf Erkennbar, auf Zivilisten? Die haben in ihren Autos, das sind Geflüchtete, die haben in ihren Autos überall Schilder drin, da steht Kinder drauf. Also für jeden Erkennbar. Warum machen die das?
00:17:54
Speaker
In dem Film haben wir ja dann irgendwie anhand der Dokumente, die wir dort gefunden haben, eben festgestellt, ja, eine mögliche Erklärung ist, das sind sehr junge Soldaten gewesen, die dort eingesetzt wurden. Von weit weg teilweise. Von weit weg aus Sibirien. Ja. Also das ist so die Frage, weil ich glaube auch nicht so richtig an dieses abgrundtiefe, ich bezeichne es jetzt mal so böse, sondern irgendwo muss es doch ein Motiv geben. Manchmal findet man auch keine Erklärung klar.
00:18:24
Speaker
Aber das finde ich auch so eine spannende Frage letzten Endes. Man lässt sich irgendwie erklären, was dort passiert ist. Warum begehen die Kriegsverbrechen? Na ja, das ist ja jetzt, fand ich jetzt an dem Film oder auch wie du auf Facebook das kommunizierst, da hast du ja immer wieder auch kleinere Beobachtungen oder kurze Beiträge geteilt, dass du das
00:18:50
Speaker
explorativ tust, also dass du versuchst bei einer Sache, der so auf den Grund zu gehen, dass sie mit ein bisschen Abstand vielleicht auch als Muster gelten kann, aber das ist für dich glaube ich nicht so das entscheidende Ding, gleich eine Kategorie über irgendwas drüber zu stülpen, sondern in diesem Suchen, dass wir dich in diesem Suchen auch begleiten können und
00:19:14
Speaker
Möglicherweise ist das so. Also ich habe in einem Podcast vor einem Jahr, wo es um Journalismus vor der Herausforderung von Desinformation und digitaler Transformation ging, auch über die Frage von Haltung diskutiert, mit dem Joachim Wiedmann von der Berliner Journalistenschule. Und er hatte das, fand ich, ganz gut auf den Punkt gebracht, wo so eine Grenze ist und der Unterschied auch zwischen Haltung und Meinung. Weil du natürlich als Journalist
00:19:42
Speaker
der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit und auch Diversität in der Berichterstattung braucht, ja niemals über diesen Punkt hinweggehen wird, wo demokratische Grundrechte mit Füßen getreten werden. Da hört im Grunde das Meinungsthema auf. Da verteidigt man im Grunde als Journalist auch
00:20:05
Speaker
den Rechtsraum, und dazu gehören jetzt unnötig beschossene Zivilisten aus meiner Sicht auch, innerhalb dessen man überhaupt tätig sein kann. Und das fand ich irgendwie, für mich ist das ein ganz gutes Bild, weil ich das in den letzten Jahren ja bei ganz vielen Diskussionen, wo es um dieses Rangeln, um gehört werden wollen, einiger Gruppen ging, die
00:20:31
Speaker
Dinge nicht bis zu Ende mit Beweisen belegen, sondern zuerst die Meinung haben und dann möglicherweise irgendeinen Beleg, der sich aber gar nicht so gut validieren lässt, nachschieben und sich aber vernachlässigt fühlen in irgendeiner Art und Weise. Das fand ich irgendwie für mich ein ganz gutes Bild und ja, kann mir vorstellen, gerade jetzt in einer Kriegssituation, wo ich persönlich wie gesagt nach wie vor denke, man steht unter einem
00:20:57
Speaker
unter einem anderen Druck. Also du bist, du bist ja, du bist dann in deinem Schnittbüro jetzt zu Hause, aber du schneidest ja, wenn ich das noch richtig weiß, auch manchmal seid ihr ja noch so kurze Berichterstattung, habt ihr auch vor Ort dann gemacht, als es sehr akut war alles. Und da bist du ja im Moment noch drin und musst dann in die andere Rolle als Berichterstatter schlüpfen. Das stelle ich mir schon hart vor.
00:21:23
Speaker
Ja, es ist natürlich Stress und es ist auch ein logistisches Problem.

Logistische Herausforderungen und Unterstützung

00:21:27
Speaker
Wie kriegt man Fernsehbilder aus dem Kriegsbild in die Redaktion nach Berlin oder Mainz? Das ist oftmals, muss man viel improvisieren. Manchmal hat man Glück und dann hat man eine Satellitenübertragung irgendwo.
00:21:43
Speaker
Aber manchmal haben wir es ganz blöd gemacht. Wir haben Bilder über WhatsApp übertragen, wenn es gar nicht anders ging und selbst das war irgendwo noch sendefähig. Ja, und wenn es sozusagen direkt meine Arbeit als Berichterstatter betrifft,
00:22:01
Speaker
Ich habe es ja schon gesagt, also ich versuche nicht irgendwas zu erzählen, was ich, also andersrum ausgedrückt, ich sage das, was ich gesehen habe oder das, was ich belegen kann. Und wenn ich auf eine Frage keine Antwort geben kann, dann sage ich das auch. Diese Transparenz hat unser Publikum einfach auch verdient, richtendergreifend. Und das können Sie auch von uns erwarten.
00:22:29
Speaker
weil das ja schon eine Verantwortung, die wir da tragen, letztlich.
00:22:33
Speaker
Genau, ihr seid die Augen und Ohren vor Ort. Und als freier Journalist in solchen Kriegs- und Krisengebieten, wie stellt sich das denn mit der Unterstützung da? Also bei einem angestellten Journalisten ist mir relativ klar, da ist das Sendehaus immer da. Ist das als freier Journalist dann, wie kommt man an Hilfe von Kriegsfeste bis Ausstattung? Kannst du da auf irgendwas zählen? Ich muss mal so sagen, für uns ist manches einfacher als für Festangestellte,
00:23:02
Speaker
Kolleginnen und Kollegen, wo der Sender schon vorher bestimmte Regeln und Vorstellungen hat, wie weit sie gehen können, wie weit sie nicht gehen können. Wir können eben einfach losfahren, muss man jetzt mal so blöd sagen. Das machen wir natürlich nicht, weil wir
00:23:24
Speaker
wir ja nicht lebensmüde sind, sondern wir haben dann hier in Leipzig, vor allen Dingen in der ersten Zeit hatten wir 24 Stunden Kollegen, die dort die Frontlinien beobachtet haben. Als der Krieg ausbrach, waren wir gerade noch für ein MDR im Donbass gewesen. Die haben ein Riesenteam von Leuten dort zusammengestellt, die uns geholfen haben, einen Weg rauszufinden, also 1000 Kilometer durch das gerade ausgebrochene Kriegsgebiet zu finden.
00:23:53
Speaker
Das war eine Wahnsinnsunterstützung. Da ist uns mit Geld auch geholfen worden und alles, was man eben so braucht. Wir waren ja nicht darauf eingestellt. Also als wir in die Ukraine flogen, war Friedenszeit und waren natürlich nicht auf den Krieg eingestellt. Was sowas angeht wie Schutz aus Rüstung, was ja
00:24:11
Speaker
absolut erforderlich ist. Das haben wir halt selber organisiert, besorgt, glücklicherweise noch 24 oder 48 Stunden bevor der Krieg ausbrach. Mittlerweile
00:24:24
Speaker
muss dort kein Journalist mehr ohne Schutzausrüstung rumfahren. Reporter ohne Grenzen hat in Lüüff-Lemberg eine Möglichkeit für Journalisten geschaffen, sich dort Westen und Helme auszuleihen, Medipacks auszuleihen.
00:24:43
Speaker
Klar, als Freier muss man schon ziemlich viel organisieren, aber Schutzausrüstung ist meines Erachtens da, weil wir selber zeitweise dort drauf auf diese Logistik zurückgegriffen haben. Ansonsten, ich kann jetzt nichts negatives sagen, mich oder uns haben die Redaktion unterstützt. Wir haben wirklich keine Zeit dort erlebt, die wir irgendwie uns im Stich gelassen haben. Und wann fahrt ihr das nächste Mal? Weißt du das schon?
00:25:11
Speaker
Naja, da sind wir jetzt gerade so ein bisschen am Plan. Ich wollte jetzt natürlich erst mal den Film abschließen und ich denke aber, das wird in den nächsten zehn Tagen, elf Tagen, werden wir noch mal fahren müssen. Wir sind jetzt gerade wieder in Verhandlung mit den Redaktionen, müssen mal sehen. Das ist noch nicht abschließend entschieden, aber klar, wir wollen unbedingt wieder dorthin, weil das ist ja so epochal, was dort passiert und so wichtig für
00:25:39
Speaker
für uns in Europa, in Deutschland, dass man uns jetzt nicht einfach schleifen lassen kann und wir gucken jetzt mal weg oder gehen einfach zur Tagesordnung über. Das geht im Augenblick nicht, sondern es ist absolut wichtig, dass man weiterhin von dort berichtet.
00:25:58
Speaker
Auf

Schlussbemerkungen und Filmveröffentlichung

00:25:59
Speaker
alle Fälle. Ich bin schon aufgeregt, weil ich Mitte Juli nach Vilnius fliege beruflich. Und ich war im März letztes Mal dort und fand die krasse Spannung in der Luft dort. Das war ein unglaublicher Unterschied. Und in Deutschland war es schon angespannt aus meiner Sicht. Also wage ich mir gar nicht vorzustellen, wie krass diese Atmosphäre in der Ukraine ist. Insofern
00:26:28
Speaker
Ja, das war ein tolles Gespräch. Ich könnte dich noch ungefähr drei Stunden ausquetschen, aber jetzt ist wirklich mal Wochenende. Also 1. Juli 16.10 Uhr beschließen wir unser Gespräch. Ich danke dir, Arnd, für diese Einblicke. Schaut euch den Film an. Er scheint am 6. Juli nachts um 00.45 Uhr im ZDF und könnt ihr natürlich dann auch in der ZDF Mediathek.
00:26:51
Speaker
Abrufen. 44, 45 Minuten, die ich wirklich gut recherchiert finde und die eben gleichzeitig aber auch zeigen, wie ein Krieg Normalität zerstört und wie absurd manche Dinge sind, möglicherweise für beide Seiten. Das werden wir wahrscheinlich nie ganz rausfinden.
00:27:12
Speaker
Dann ja, ich grüße dich jetzt von meinem Homeoffice zu deinem Homeoffice und bis bald. Ja, ich habe mich auch gefreut da gewesen zu sein und alles Gute. Den kleinen Podcast 20 Blue Minutes findet ihr überall dort, wo es gute Podcasts gibt. Und natürlich bei uns auf 20.blue. Bis bald.