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T&T17 Vom Widerstand zur Wende

S2 E17 · Tee & Taktik
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87 Plays10 days ago

In diesem Monat jährt sich der Mauerfall zum 36. Mal – und Lea spricht dazu mit einer Frau, die damals nicht nur zuschaute, sondern mitten im Geschehen war. Kathrin Mahler-Walter, Soziologin und Bürgerrechtlerin, war als Jugendliche aktiv in der Leipziger Widerstandsbewegung. Sie organisierte Friedensgebete und Demonstrationen, stellte sich permanenten Gefahren – immer mit einer Zahnbürste in der Tasche, falls sie verhaftet würde.

In dieser Folge sprechen die beiden darüber, wie strategisch und mutig die Opposition in der DDR agierte, wie die Montagsdemonstrationen ihren Anfang nahmen, was hinter den Verhandlungen an den Runden Tischen wirklich geschah und wie Kathrin heute – 35 Jahre später – auf Ostdeutschland blickt.

Eine bewegende Zeitreise in ein Deutschland im Umbruch, voller persönlicher Einblicke, Spannung und Hoffnung.Perfekt für alle, die verstehen wollen, wie aus Widerstand eine Revolution wurde.

Magst du Tee & Taktik? Wir freuen uns über Unterstützung :) Wir haben eine neue Spendenplattform. Jeder Beitrag zählt

Bleibt immer auf dem Laufenden bei Instagram: @dalilah_shemia, @lea_bonasera,

Buch von Lea 

Bei Fragen, Kritik, Ideen: teeundtaktik@protonmail.me

Danke an
→ alle, die uns mit einer Spende unterstützen
→ die Stiftung “Kraft der Gewaltfreiheit” für die finanzielle Unterstützung
→ unseren Partner für die Postproduktion, das Kreativstudio für Wissenschaftskommunikation Zum Staunen*
→ Danke, an alle die mit uns über das Thema der Folge gesprochen haben

Shownotes
Kathrin Mahler Walther
Mauerfall
Arbeitsgruppe Menschenrechte
Arbeitskreis Gerechtigkeit
Nikolaikirche Friedensgebete
Schwerter zu Pflugscharen
Tiananmen-Massaker 

Transcript

Einführung und Finanzierungsbedarf des Podcasts

00:00:07
Speaker
Hallo und herzlich willkommen zu Tee und Taktik, deinem Podcast zu strategischem Protest.
00:00:14
Speaker
Wir sind Lea und Lila.
00:00:15
Speaker
Hallo.
00:00:17
Speaker
Herzlich willkommen.
00:00:20
Speaker
Hi ihr Lieben, hier sind Dalila und Lea und wir melden uns mit einem dringenden Anliegen, bevor es mit unserer spannenden Folge zur Wende weitergeht.
00:00:28
Speaker
Und zwar geht es um die Zukunft von Tee und Taktik.
00:00:31
Speaker
Seit anderthalb Jahren trinken wir jetzt gemeinsam mit euch Tee und reden über zivilen Widerstand, vergangene und aktuelle Protestbeispiele.
00:00:39
Speaker
Wir haben Gäste von Protestierenden bis WissenschaftlerInnen und es macht echt richtig Spaß.
00:00:44
Speaker
Und wir finden es aber auch wichtig, einfach in aktuellen Zeiten, wo es so viele Krisen gibt, auch Wege aufzuzeigen, wie man gewaltfrei, friedlich, aber auch eben wirksam und effektiv ins Handeln kommen kann.
00:00:54
Speaker
Aber um T und Taktik weiterzumachen, brauchen wir eure Hilfe.
00:00:58
Speaker
Denn unsere Förderung der Stiftung Kraft der Gewaltfreiheit läuft leider aus und aktuell können wir ab nächstem Jahr nicht mehr aufnehmen.
00:01:06
Speaker
Zwar kooperieren wir für zwei Folgen mit der Uni Hamburg, was uns richtig freut, aber um die dritte Staffel T und Taktik umzusetzen, fehlen uns aktuell mehr als 5000 Euro.
00:01:16
Speaker
Und das ist nur das Geld, was wir brauchen, um mindestens die Postproduktion und Technik finanzieren zu können.
00:01:22
Speaker
Wenn wir noch mehr zusammenkriegen würden, wäre das der Hammer, weil es dann Dalila und mir auch ermöglichen würde, tiefer in die Recherche und Arbeit zu gehen und Wissen über die Wirksamkeit und Wirkung von Protest bekannt zu machen.
00:01:35
Speaker
Ja, weil es ist schon so, dass wir aktuell natürlich vor allem unsere Kreise auch erreichen.
00:01:39
Speaker
Protestforschende, aktive Menschen aus den Kreisen der Gewaltfreiheit.
00:01:43
Speaker
Aber es wäre eben total gut, dass dieses Wissen auch noch mehr Menschen erreichen.
00:01:47
Speaker
Aber um das zu machen, muss man wirklich auch Zeit dafür haben, das strategisch zu platzieren, sich zu überlegen, sich zu vernetzen.
00:01:53
Speaker
Das braucht alles Zeit.
00:01:54
Speaker
Und was die Postproduktion angeht, das sollte man auch nicht unterschätzen,
00:01:58
Speaker
Weil wenn dann der Sound schlecht ist, dann will man da auch nicht zuhören.
00:02:02
Speaker
Und deswegen ist es schon sehr, sehr wichtig, damit das überhaupt ein Hörgenuss ist, dass man da auch in ordentliche Technik investiert.
00:02:09
Speaker
Weil sonst machen wir uns die ganze Arbeit und dann ist das unhörbar.

Zukünftige Episoden und Unterstützung der Zuhörer

00:02:12
Speaker
Und wir haben einfach auch noch so viel vor für nächstes Jahr.
00:02:15
Speaker
Also wir wollten auf jeden Fall eine Folge machen zu den RichterInnen-Protesten in Polen.
00:02:21
Speaker
Oder aktuelles Thema ist ja bei vielen jungen Menschen, das beschäftigt sie ja, Wehrdienstverweigerung.
00:02:27
Speaker
Und auch das hat in gewaltfreien Bewegungen eine total wichtige Rolle gespielt.
00:02:31
Speaker
Oder Island, da gab es Generalstreiks von Frauen oder die Frauenbewegung im Allgemeinen, die da jetzt auch wieder am Aufblühen ist.
00:02:39
Speaker
Selbstanzeige über Abtreibungen oder allgemein, es gibt einiges zu sagen zur Rolle von Frauen im gewaltfreien Widerstand und gerade finden auch so viele Proteste statt, Gen Z, Indonesien, USA, auch da könnte man mit Aktiven und Forschenden sprechen.
00:02:53
Speaker
Und ja, es wäre einfach schade, jetzt mittendrin einfach aufzuhören.
00:02:58
Speaker
Und wenn ihr wollt, dass hier in Taktik weitergeht, dann wäre es richtig cool, wenn ihr uns unterstützen könntet.
00:03:03
Speaker
Jeder Beitrag hilft wirklich.
00:03:05
Speaker
Und bisher erwartet ihr auch wirklich so eine unterstützende Zuhörerschaft und habt uns so viel positives Feedback gegeben.
00:03:10
Speaker
Damit habt ihr auch echt Zuversicht gespendet und uns die Kraft gegeben, auch weiterzumachen.
00:03:16
Speaker
Und wir hoffen, dass wir auch das jetzt zusammen schaffen.
00:03:19
Speaker
Ja, weil Dalila und ich glauben ja fest daran, dass wir ganz viel verändern können und dass wir eine bessere Welt ohne Gewalt schaffen können, wenn wir die Fähigkeiten des Wissens und die richtigen Analysen dazu haben.
00:03:31
Speaker
Und ja, wir haben noch viel vor und hoffen, dass wir diesen Weg gemeinsam mit euch gehen.
00:03:36
Speaker
Danke euch.
00:03:38
Speaker
Vielen Dank für eure Unterstützung.
00:03:46
Speaker
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Tee und Taktik.

Fokus auf den Widerstand der DDR-Bürgerrechtsbewegung

00:03:50
Speaker
Und ich freue mich sehr über unser Thema heute und auch über unseren Gast, weil mir die Geschichte ganz viel Hoffnung gegeben hat.
00:03:57
Speaker
Gerade im Moment, besonders in der Klimagerechtigkeitsbewegung, ist ja so ein Tief, aber da sind sie ein bisschen demotiviert und fühlen sich gerade nicht so wirksam.
00:04:06
Speaker
Und da dachte ich, es ist genau das Richtige, sich jetzt mal die deutsche Erfolgsgeschichte des friedlichen Widerstandes anzuschauen, und zwar die Bürgerrechtsbewegung der DDR.
00:04:16
Speaker
und sich inspirieren zu lassen, wie effektiv das damals war und das Unmögliche möglich gemacht wurde.
00:04:23
Speaker
Dafür habe ich heute einen ganz tollen Gast bei mir, Katrin Mahler-Walter.
00:04:27
Speaker
Sie ist deutsche Soziologin, Geschäftsführerin der ERF in Berlin, Forschungs- und Beratungsinstitut für Vielfalt und Chancengleichheit in Unternehmen, Politik und Wissenschaft.
00:04:39
Speaker
Und sie ist Bürgerrechterin und gehörte zur Bürgerrechtsbewegung und zum organisierten Widerstand in der DDR.
00:04:45
Speaker
War damals noch ganz jung, 16 Jahre in Leipzig in der Basisgruppe und hat dort aktiv die Massenproteste gegen die SED-Hörschaft mitgestaltet.
00:04:56
Speaker
Herzlich willkommen,

Vorstellung von Katrin Mahler-Walter und frühe Aktivismusjahre

00:04:57
Speaker
Katrin.
00:04:57
Speaker
Ich freue mich sehr, dass du da bist.
00:04:59
Speaker
Hallo Lea, vielen Dank für die Einladung.
00:05:02
Speaker
Schön, bevor wir jetzt reinschalten, es ist ja unsere kleine Tradition mit einer Tasse Tee anzustoßen.
00:05:08
Speaker
Was trinkst du, was ist dein Lieblingstee?
00:05:10
Speaker
Also tatsächlich aktuell bin ich gerade Fan von Cold Tea und trinke da Himbeere Zitrone.
00:05:17
Speaker
Uh, lecker.
00:05:19
Speaker
Das klingt gut.
00:05:20
Speaker
Ich habe heute einen Salbei-Tee dabei.
00:05:21
Speaker
Den trinke ich immer, wenn ich ein bisschen müde bin oder einen anstrengenden Tag habe.
00:05:25
Speaker
Wie so ein guter, starker Kaffee wirkt der bei mir.
00:05:28
Speaker
Genau.
00:05:29
Speaker
Wenn wir jetzt mal so ein bisschen zurückblicken.
00:05:31
Speaker
Die DDR-Bar ja ein autoritäres System.
00:05:35
Speaker
Keine freien Wahlen, Überwachung durch die Staatssicherheit, Kutsch-Stasi, kaum Pressefreiheit und dann
00:05:42
Speaker
Innerhalb von wenigen Monaten kippt da alles.
00:05:44
Speaker
Wie hast du damals die politische und gesellschaftliche Lage aus deiner Perspektive erlebt?
00:05:50
Speaker
Was gab es für Unmut und was war auch das, was du oder ihr verändern wolltet?
00:05:55
Speaker
Das ist eine sehr komplexe Frage natürlich für so ein ganz großes System.
00:06:00
Speaker
Weil ich war, wie du schon gesagt hast, sehr jung zu der Zeit.
00:06:06
Speaker
Also ich bin 1970 geboren und habe während meiner...
00:06:12
Speaker
Durch Schulbildung bin ich sozusagen immer wieder an die Grenzen des Systems gestoßen, das ich durchaus versucht habe auszuloten.
00:06:19
Speaker
Also ich war auch bei den Pionieren, ich war eine ganze Zeit lang auch FDJ-Sekretärin und wollte, habe da auch an das Gute in dem System geglaubt und wollte das voranbringen und habe eben dann immer wieder gemerkt,
00:06:35
Speaker
wie ich an die Grenzen stoße, dass eine wirkliche Diskussion und ein wirklich Miteinanderringen um gute Lösungen gar nicht gefragt war.
00:06:44
Speaker
Und das ist ja auch etwas, was wir viel jetzt in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte lesen, dass tatsächliche reale Diskussionen miteinander auch in der SED überhaupt nicht möglich waren.
00:06:57
Speaker
Und das habe ich schon als Jugendliche gespürt und hatte irgendwann das Gefühl, das ist wie so ein
00:07:02
Speaker
Ich habe Start, in dem ich da mich bewege.
00:07:05
Speaker
Also es gibt viele Losungen, die aber eben nicht mit Leben gefüllt sind und wo die Menschen überhaupt nicht dahinter stehen und das wie in so einer Parallelgesellschaft ist.
00:07:17
Speaker
Und zugleich ich eben gemerkt habe, dass auch keine Auseinandersetzung, kein Lernen ist.
00:07:23
Speaker
Es ist nicht möglich, die Literatur zu lesen, die mich interessiert hat, mich zu bilden und wirklich miteinander zu diskutieren und zu streiten, um wie kann das Leben in diesem Land funktionieren.
00:07:34
Speaker
Und das hat mich letztlich dahin gebracht, Orte zu suchen, wo genau diese offenen Gespräche und diese Suche, die entstehen.
00:07:44
Speaker
ja vielleicht auch für Jugend sehr typisch ist, möglich war.
00:07:48
Speaker
Und das habe ich damals gefunden unter dem Dach der Kirche in meiner jungen Gemeinde, in der reformierten Kirche in Leipzig.
00:07:56
Speaker
Und von dort habe ich mich dann weiter bewegt in den Stadtjugendkonvent, in den Landesjugendkonvent und
00:08:03
Speaker
immer wieder gemerkt, dass ich dort auf Jugendliche treffe, die mit mir auch diese Fragen über das Leben an sich und das Leben in einer Gesellschaft miteinander stellen und diskutieren.
00:08:15
Speaker
Und so bin ich dann letzten Endes, habe ich dann auch meinen Weg zu den damaligen Basisgruppen gefunden.

Herausforderungen und Strategien im friedlichen Widerstand

00:08:22
Speaker
Zuerst zur Arbeitsgruppe Menschenrechte in Leipzig, wo es vor allen Dingen auch darum ging, eine Alternative zum Wehrdienst zu fordern und das gab es ja in der DDR nicht.
00:08:32
Speaker
Man konnte eben entweder nur zur Armee gehen oder Bausoldat werden, womit man zwar nicht Dienst an der Waffe machte, aber eben auch die Armee unterstützte und in der Armee diente und wir wollten da eine Möglichkeit des sozialen Friedensdienstes schaffen, der eben ähnlich quasi wie in Westdeutschland der
00:08:52
Speaker
Zivildienst funktionieren sollte und sowas gab es in der DDR nicht und das war eigentlich so mein erster Schritt damals in die Basisgruppen.
00:09:00
Speaker
Da muss man wissen, dass du damals auch an einem Pflegeheim gearbeitet hast und die Probleme vieler sozialer Einrichtungen in der DDR auch kanntest, oder?
00:09:08
Speaker
Hautnah.
00:09:10
Speaker
Ganz genau, das war natürlich für mich zu dem Zeitpunkt eine ganz starke Motivation, dass ich, ich wollte, ja, ich wollte eigentlich beruflich in Richtung Sterbebegleitung gehen, ich wollte eben Krankenschwester lernen und mich dann auf dieses Gebiet spezialisieren.
00:09:26
Speaker
Und deswegen habe ich in meinen Ferien ganz viel in Pflegeheimen gearbeitet, in Krankenhäusern und habe da sehr, sehr viel Leid gesehen.
00:09:35
Speaker
Wirklich sehr schlimme Zustände.
00:09:36
Speaker
Es herrscht einfach ein ganz großer Personalmangel in der DDR für diese Pflegedienste und sicherlich auch nicht nur ein Personalmangel.
00:09:45
Speaker
Da geht es auch um Haltung, um Einstellung und vieles hat mich da verletzt.
00:09:48
Speaker
Also wirklich sehr traurig gemacht, das zu erleben und deswegen auch das war für mich eine Motivation zu sagen, hier sind Menschen, die sich wirklich motiviert einsetzen würden für unsere alten Menschen, um sie zu begleiten und warum nutzen wir dieses Potenzial nicht?
00:10:04
Speaker
Warum ermöglichen wir eben nicht, dass man nicht in der NVA dient, sondern so einen sozialen Friedensdienst?
00:10:14
Speaker
Und wie haben dann diese Arbeitsgruppen genau funktioniert, wenn ich es richtig weiß?
00:10:17
Speaker
Du hast ja am Anfang in der Arbeitsgruppe Menschenrechte und am Ende im Arbeitskreis Gerechtigkeit.
00:10:23
Speaker
Wie war das so aufgebaut und was habt ihr da gemacht?
00:10:27
Speaker
Also die Arbeitsgruppe Menschenrechte war in einer Kirchgemeinde in Leipzig angesiedelt, damals bei Christoph Vorneberger in der Lukaskirche.
00:10:36
Speaker
Und da haben wir uns regelmäßig getroffen miteinander und haben die Friedensdekade geplant, haben die monatlichen Friedensgebete geplant, die wöchentlichen Friedensgebete in Leipzig, die damals ja in der Nikolai-Kirche stattfanden.
00:10:51
Speaker
Und die von den Leipziger Basisgruppen unter der Leitung von Christoph Roneberger gestaltet wurden.
00:10:57
Speaker
Und wie du ja wahrscheinlich weißt, ging eben letztlich von diesen Friedensgebeten ja auch die große, entscheidende Kraft damals in Leipzig aus, um die Menschen zu versammeln.
00:11:07
Speaker
Aber da sprechen wir vielleicht nachher auch nochmal ein bisschen konkreter drüber.
00:11:11
Speaker
Als Arbeitsgruppe, wie gesagt, haben wir uns eben auf verschiedene Veranstaltungen konzentriert und wir haben Briefe geschrieben.
00:11:18
Speaker
Das war etwas, was in der DDR tatsächlich sehr häufig war, dass Menschen Eingaben gemacht haben, also Briefe an staatliche Stellen, Ämter geschrieben haben, um auf Missstände hinzuweisen.
00:11:29
Speaker
Und wir haben das als Arbeitsgruppe Menschenrechte eben ganz dezidiert für den sozialen Friedensdienst gemacht, haben damit an die Volkskammer geschrieben, an den Rat der Stadt geschrieben.
00:11:39
Speaker
Und jeder von uns hat Briefe geschrieben an Personen, die er kannte, um sich mit ihm einzusetzen für diesen sozialen Friedensdienst.
00:11:47
Speaker
Ich habe damals geschrieben unter anderem an die Leitung des Pflegeheims, in dem ich kurz vorher gearbeitet habe, weil ich davon ausgegangen war,
00:11:55
Speaker
dass jemand, die diesen Missstand täglich erlebt und kennt, sicherlich unsere Forderung auch unterstützen wird.
00:12:02
Speaker
Da hatte ich mich allerdings sehr getäuscht.
00:12:04
Speaker
Also diese Leitung des Pflegeheims hat das dann sofort an die SED weitergegeben und quasi da auch angezeigt.
00:12:13
Speaker
Und das hatte ziemlich starke Folgen auch.
00:12:16
Speaker
Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade meine Lehrausbildung angefangen.
00:12:19
Speaker
Ich war 16 und dann kam also die
00:12:24
Speaker
Mitarbeiter der Stasi bei mir in den Lehrbetrieb haben mich dort ins Zimmer des Parteisekretärs gerufen.
00:12:32
Speaker
Ich wurde da ausgefragt und belehrt darüber.
00:12:35
Speaker
Ich musste dann zum Bezirksstadtbürgermeister.
00:12:39
Speaker
Und meine Eltern wurden vorgeladen in ihren Betrieben.
00:12:42
Speaker
Mein Vater war Mitglied der SED.
00:12:45
Speaker
Der musste vor die Parteikontrollkommission.
00:12:47
Speaker
Der musste sich verantworten, wie es sein kann, dass seine Tochter so gegen den Staat arbeitet.
00:12:53
Speaker
Das war eine sehr schwierige Zeit tatsächlich für uns als Familie, weil...
00:12:59
Speaker
ich meine Eltern sehr schätze und nicht wollte, dass die mit reingezogen werden in etwas, wofür ich mich einsetze und engagiere.
00:13:10
Speaker
Und das war für mich eine sehr, sehr große Herausforderung zu sehen, wie meine Eltern letztlich dafür bestraft wurden.
00:13:18
Speaker
Und es hat dann auch dazu geführt, dass ich mich eine Zeit lang nochmal zurückgezogen habe und gesagt habe, ich arbeite daran, schnellstmöglich auszuziehen zu Hause.
00:13:27
Speaker
Damit meine Eltern freier sind und auch ich freier sein kann und meine Eltern sagen können, sie wohnt nicht mehr bei uns, wir haben darauf keinen Einfluss mehr und wir können uns dafür auch nicht verantworten, was unsere Tochter tut.
00:13:40
Speaker
Und das habe ich dann auch gemacht.
00:13:41
Speaker
Ich bin dann ja später...
00:13:43
Speaker
ein Traveller später ausgezogen.
00:13:45
Speaker
Da war ich 17,5 und habe dann mit Freunden zusammen im Leipziger Osten eine Wohnung besetzt, wie man heute sagen würde, schwarz bezogen.
00:13:55
Speaker
Das war damals in diesen Abrisshäusern im Leipziger Osten durchaus üblich, dass gerade junge Menschen sich da einfach Bruchbuden besucht haben und dann da

Rolle der Montagsdemonstrationen und mediale Sichtbarkeit

00:14:05
Speaker
eingezogen sind.
00:14:05
Speaker
Wir haben unsere Miete gezahlt, das waren 20 Mark im Monat.
00:14:10
Speaker
Und haben insofern dort also zumindest unsere rechtlichen Pflichten auch erfüllt, aber wir hatten halt keinen ordentlichen Mietvertrag, aber man hat das geduldet zu DDR-Zeiten, dass wir da eben diese Wohnungen, die sowieso leer standen, weil sie nicht vermietbar waren, dass wir die bewohnt haben und da war es dann für uns auch möglich und ja, da haben wir auch mitgebracht.
00:14:30
Speaker
quasi so ein kleines informelles Oppositionszentrum dann gehabt in der Mariannestraße 46, wo wir da zwei Wohnungen hatten.
00:14:38
Speaker
Und das war ein Ort, wo wir dann sehr viel zusammengekommen sind, Menschen aus unterschiedlichsten Basisgruppen in Leipzig.
00:14:46
Speaker
Und in dieser Zeit habe ich mich dann auch wieder weiter sehr viel stärker engagiert und bin dann zum Arbeitskreis Gerechtigkeit gegangen.
00:14:56
Speaker
Ja, man weiß ja, also so ist es ja, dass man so diese Bilder im Kopf hat und ganz viel, sage ich mal, an der Oberfläche oder im Vordergrund weiß, am 9.
00:15:06
Speaker
November 89, wo dann die Grenze geöffnet wurde zwischen Ost- und Westdeutschland, aber so richtig, also
00:15:13
Speaker
zumindest meine Generation und vielleicht Leute, die damals nicht so involviert waren, wissen nicht so richtig, was hinter den Kulissen eigentlich alles passiert ist und auch wie strategisch das Ganze war.
00:15:23
Speaker
Also bei den Sachen, die ich mir angeguckt habe, fällt mir halt sofort auf, dass es ganz viele strategische Gedanken da ja reingeflossen sind.
00:15:31
Speaker
Du hast selber mal gesagt, dass ihr euch überlegt habt, welche Flöcke ihr versuchen müsst einzurammen damit.
00:15:38
Speaker
ihre Wirksamkeit bekommt in diesem System und das eben nicht nur aus einem Impuls heraus ist, sondern dass man sich wirklich überlegt, wie man mittelfristig und langfristig was verändern kann, was wir auch viel schon in diesen Podcast-Folgen besprochen haben.
00:15:51
Speaker
Und da wollte ich dich fragen, woher kam dieses strategische Denken und auch die Strategie?
00:15:57
Speaker
Wer hat sich das überlegt und hat es dir auch manchmal unterschiedliche Meinungen, die jetzt vorgegangen werden sollten?
00:16:04
Speaker
Auf jeden Fall hatten wir unterschiedliche Meinungen.
00:16:07
Speaker
Und ich glaube, was wir in Leipzig ganz gut geschafft haben, ist, dass wir uns mit unterschiedlichen Meinungen über das Vorgehen in unterschiedlichen Gruppen engagiert haben und uns aber auch gegenseitig geschützt und abgesichert haben.
00:16:23
Speaker
Also wir sind trotzdem miteinander in Verbindung geblieben.
00:16:26
Speaker
Und das war, glaube ich, etwas, was wichtig
00:16:29
Speaker
für uns in Leipzig sehr, sehr wichtig war.
00:16:30
Speaker
Wir hatten dieses gemeinsame Friedensgebet jeden Montag, was eben wie gesagt Christoph Wonneberger koordiniert hat für die Leipziger Basisgruppen und jede Gruppe hat einen Montag gestaltet, sodass

Netzwerken und strategische Planung im Widerstand

00:16:44
Speaker
jede Gruppe eben auch immer wieder drankam in der Gestaltung dieser Montage und dort auch ihre Themen mit einbringen konnte.
00:16:52
Speaker
Und ein Teil der Gruppen haben gesagt, wir müssen raus aus der Kirche, wir müssen auf die Straße, wir brauchen Öffentlichkeit.
00:16:59
Speaker
Und ein anderer Teil hat gesagt, auf gar keinen Fall viel zu gefährlich.
00:17:04
Speaker
Und die einen sind eben rausgegangen und wir haben dann eben draußen auf dem Kirchhof protestiert und haben dafür vor allen Dingen diese Leipziger Messe Montage nutzen können.
00:17:16
Speaker
Also eine der großen Herausforderungen in der DDR war, dass es keine unabhängige Öffentlichkeit gab und dass es dadurch auch keine Möglichkeit gab, aus dem, wie man heute so schön sagt, eigenen Blasen rauszukommen.
00:17:32
Speaker
Diejenigen, die da nicht dabei waren, die es nicht wussten, wie hätten die wissen sollen, wo sich Protest und Widerstand gegen das System formiert.
00:17:41
Speaker
Und deswegen war es eben so wichtig, raus auf der Straße und was wir dafür unbedingt brauchten,
00:17:47
Speaker
waren die Westmedien, weil die waren sozusagen das Sprachrohr in die DDR hinein.
00:17:52
Speaker
Und wenn wir das schaffen, dass in den Westmedien über uns berichtet wird, dann wissen die Menschen,
00:17:58
Speaker
in der DDR, was wir tun und wo es eine Möglichkeit auch gibt, sich anzuschließen.
00:18:04
Speaker
Und zweimal im Jahr fand die Leipziger Messe statt und da durften westliche Journalisten nach Leipzig kommen.
00:18:12
Speaker
Und das haben wir ganz strategisch genutzt, weil das war für uns zum einen eben Sichtbarkeit, aber gleichzeitig auch
00:18:19
Speaker
Denn in dem Moment, wo die Informationen über diese ersten Montagsdemonstrationen nach den Leipziger Friedensgebeten, in dem Moment, wo diese Informationen nach außen drangen, war es für die DDR-Staatssicherheit auch schwieriger, alle Menschen einfach in den Knast zu bringen.
00:18:39
Speaker
Sondern dann gab es natürlich politische Forderungen aus Westdeutschland, die Leute auch wieder freizulassen und man
00:18:45
Speaker
Die DDR-Führung war damit auch eben einer Sichtbarkeit ausgesetzt, die für uns gleichzeitig auch ein ganz wichtiger Schutz gewesen ist.
00:18:54
Speaker
Und diese Frage von wie kriegen wir Sichtbarkeit, wie können wir die Menschen erreichen, das war eben eine ganz wichtige.
00:19:03
Speaker
Und dafür war es wiederum auch wichtig, so einen regelmäßigen Termin zu schaffen.
00:19:09
Speaker
Der funktioniert unabhängig von Einzelaktionen.
00:19:13
Speaker
Dieses Leipziger Montagsgebet, Montag 17 Uhr, war etwas, was über die Jahre immer mehr etabliert wurde und immer mehr gewachsen ist.
00:19:23
Speaker
Und wenn man sich das anguckt, also noch 1987 haben wir ganz oft unser Friedensgebet in der Kapelle durchgeführt.
00:19:30
Speaker
Also in einem kleinen Nebengebäude der Nikolaikirche, weil da sind dann irgendwie zehn Leute gekommen.
00:19:36
Speaker
Aber mit den Luxemburg-Liebkirch-Demos im Januar 1988 und den Verhaftungen, die da in Berlin stattfanden,
00:19:43
Speaker
sind immer mehr Menschen in die Leipziger Nikolaikirche zum Friedensgebiet gekommen, weil sich da dann schon dieser Tag, dieser Moment herumgesprochen hatte.
00:19:51
Speaker
Und ganz stark waren das zu dem Zeitpunkt eben auch Menschen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten.
00:19:57
Speaker
Und das war wiederum für uns, für diejenigen, die da in den Widerstand gingen und etwas verändern wollten,
00:20:05
Speaker
waren das ganz wichtige Verbündete, weil viele derjenigen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, die wollten einfach raus und je mehr Sichtbarkeit sie kriegten, auch im Widerstand, desto günstiger war es für ihren Ausreiseantrag.
00:20:16
Speaker
Und für uns war es aber eben auch wichtig und günstig, weil dadurch die Gruppe der Menschen, die kamen und die wenig Angst hatten, auch immer größer wurde.
00:20:25
Speaker
Und so gab es zum Beispiel einen Montag, wo wir eben draußen auf dem Nikolaiplatz standen und die Gruppe derjenigen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatte, die skandierten dann, wir wollen raus.
00:20:37
Speaker
Und wir, viele aus den Oppositionsgruppen damals, standen sozusagen auf der anderen Seite und haben skandiert, wir bleiben hier.
00:20:45
Speaker
Und zwar als Drohung ans System im Sinne von, nee, wir gehen nicht einfach raus, wir wollen hier was verändern.
00:20:51
Speaker
Und also soviel zu, natürlich gab es unterschiedliche Meinungen, aber wir haben das glaube ich in Leipzig geschafft, dass diese unterschiedlichen Meinungen sich quasi gegenseitig sinnvoll und gut verstärkt haben und dadurch so eine gemeinsame Kraft entwickelt haben.
00:21:07
Speaker
Dafür war es zu dem Zeitpunkt wirklich wichtig, dass wir uns nicht gegenseitig in die Haare gekriegt haben über diese Unterschiedlichkeiten, sondern immer geguckt haben, wo ist der kleinste gemeinsame Nenner, wo ist das kleinste gemeinsame Vielfache, wie können wir gemeinsam hier vorankommen und etwas bewegen.
00:21:26
Speaker
Und das hat uns, glaube ich, in Leipzig damals sehr geholfen.
00:21:30
Speaker
Und dann gibt es noch einen weiteren Punkt, den ich sehr wichtig finde, von dem auch heute viel Kraft ausgeht aus meiner Sicht.
00:21:37
Speaker
Das war, dass wir zu dem Zeitpunkt ja in der Tat wirklich vieles sehr strategisch gedacht

Überwachung und emotionaler Druck des Aktivismus

00:21:43
Speaker
haben.
00:21:43
Speaker
Wir haben ja konspirativ gearbeitet.
00:21:45
Speaker
Wir waren uns permanent bewusst, dass wir abgehört werden, dass wir beobachtet werden.
00:21:49
Speaker
Wir sind zu wichtigen Gesprächen immer raus in den Park gegangen.
00:21:52
Speaker
Wir haben die nie zu Hause geführt etc.
00:21:54
Speaker
Also es war sozusagen so eine ständige Begleitung auch.
00:21:58
Speaker
Das Wissen um den Überwachungsstaat.
00:22:00
Speaker
Und das bedeutete eben auch, dass wir sehr strategisch ein Netzwerk aufgebaut haben.
00:22:07
Speaker
Und in diesem Netzwerk Menschen ganz unterschiedliche Menschen,
00:22:10
Speaker
... Rollen hatten.
00:22:12
Speaker
Und es gab viele Menschen, die uns verbunden waren, die aber nur eine ganz kleine Sache gemacht haben.
00:22:18
Speaker
Und das war es dann auch wieder.
00:22:20
Speaker
Also, weil die gar nicht in der Situation gelebt haben, dass sie gesagt haben, ich habe jetzt den Mut und die Kraft, mich hier ganz aktiv in den Widerstand einzubringen, weil ich habe eine Familie zu versorgen, meine Kinder sind klein, ich habe einfach Angst um uns, das kann ich jetzt nicht machen.
00:22:38
Speaker
Aber ich unterstütze euch gern an einer Stelle, die für euch sinnvoll und nutzlich ist.
00:22:43
Speaker
Und für uns ging es zum Beispiel immer wieder auch darum, um Transporte.
00:22:48
Speaker
Wie transportieren wir Samistat, also sozusagen Untergrundzeitschriften, wie transportieren wir die aus Berlin nach Leipzig?
00:22:55
Speaker
Wie transportieren wir Literatur, Bücher, die über Westjournalisten reingeschmuggelt wurden nach Ost-Berlin?
00:23:01
Speaker
Wie transportieren wir die nach Leipzig?
00:23:04
Speaker
Teile von Druckmaschinen.
00:23:05
Speaker
Wir haben ja am Ende in Leipzig ein Oppositionszentrum aufgebaut, wo wir eben auch eine Druckmaschine hatten.
00:23:10
Speaker
Und die wurde in Teilen reingeschmuggelt in die DDR.
00:23:13
Speaker
Auch das musste alles nach Leipzig transportiert haben.
00:23:16
Speaker
Und da gab es einzelne Personen, die wussten, sie werden nicht beobachtet, ihr Auto ist nicht registriert.
00:23:22
Speaker
Mein Bruder zum Beispiel, der für uns nach Berlin gefahren ist und dort eben...
00:23:26
Speaker
entsprechend Zeitschriften abgeholt hat und die dann wieder verteilt hat, also zu uns gebracht hat, sodass wir sie verteilen konnten.
00:23:34
Speaker
Oder auch Menschen, die mit uns immer wieder in Schreibwarenläden ausgeschwärmt sind, um Papier zu kaufen.
00:23:40
Speaker
Das war ja absolute Mangelware in der DDR.
00:23:43
Speaker
Wir wollten aber eben diese Zeitschriften drucken.
00:23:46
Speaker
Das heißt, wir brauchten ständig Nachschub an Papier und man kriegte immer ein, höchstens zwei von diesen 500 Blattpaketen,
00:23:54
Speaker
Das heißt, wir brauchten viele Menschen, die in ihre Schreibwarenleben gingen, um dieses Papier zu kaufen.
00:23:59
Speaker
Und da gab es ganz viele davon, die das gemacht haben.
00:24:02
Speaker
Und die sind heute nicht irgendwo als Heldinnen und Helden sichtbar, aber die haben einen super wichtigen Beitrag geleistet, dass wir als Oppositionsgruppen überhaupt das tun konnten, was wir getan haben.
00:24:14
Speaker
Also das ist ein sehr...
00:24:16
Speaker
großes Netzwerk gewesen und das finde ich, wie gesagt, auch sehr ermutigend für heute.
00:24:21
Speaker
Man muss nicht immer die ganz große Heldin sein, die alle Angst hinter sich lässt und kann trotzdem etwas bewirken.
00:24:29
Speaker
Auf jeden Fall.
00:24:30
Speaker
Aber mich interessiert es trotzdem nochmal, woher ihr das alles wusstet.
00:24:35
Speaker
Also das sind ja schon systemische Sachen.
00:24:37
Speaker
Ihr habt die Kontakte zu den Bestjournalistinnen konstant aufgebaut.
00:24:41
Speaker
Auch da so viele Leute gekommen sind.
00:24:43
Speaker
Klar lag das vielleicht auch an den Umständen, aber da war ja auch eine systematische Strategie dahinter.
00:24:48
Speaker
Ja, das hat auch Vernetzungstreffen überall in der DDR und auch in Berlin.
00:24:53
Speaker
Wart ihr ausgebildet in gewaltfreiem Widerstand und in Protest oder war das etwas, was wirklich einfach spontan so intuitiv aus euch entstanden ist?
00:25:04
Speaker
Also ausgebildet waren wir alle nicht, aber wir haben natürlich gelesen, wir haben uns viel Westliteratur auch immer wieder besorgen können, wie gesagt über JournalistInnen, über Freundinnen und Freunde aus Westdeutschland, die diese Bücher reingeschmuggelt haben.
00:25:28
Speaker
Und wir haben darüber viel auch an strategischen Überlegungen von Menschen, die aus der DDR ausgewiesen wurden oder eben KommunistInnen, UnterstützerInnen von Widerstandsbewegung gelesen und uns damit auseinandergesetzt.
00:25:48
Speaker
Was heißt das für uns?
00:25:50
Speaker
Wie
00:25:50
Speaker
Wie können wir vorgehen in einer Diktatur?
00:25:54
Speaker
Was sind da sinnvolle und richtige Mittel?
00:25:57
Speaker
Und darüber haben wir viel auch gestritten.
00:26:01
Speaker
Und einige, also ich, wie gesagt, ich war zu dem Zeitpunkt sehr jung.
00:26:05
Speaker
Ich habe da angefangen, diese Bücher zu lesen.
00:26:08
Speaker
Aber um mich herum waren ja viele Menschen, die...
00:26:12
Speaker
die studiert haben.
00:26:13
Speaker
Viele haben am Theologischen Seminar in Leipzig studiert.
00:26:17
Speaker
Dort fiel auch sich genau mit solchen Theorien von wie gestalte ich denn eigentlich Gemeinschaft, Gesellschaft, wie kann ich im Widerstand gehen und wirksam werden, auch sich mit solchen Themen auseinandergesetzt.
00:26:29
Speaker
Und die haben natürlich diese Ideen auch immer wieder in die Gruppen hereingetragen.
00:26:33
Speaker
Christoph Wornelberger als jemand, der die Arbeitsgruppe Menschenrechte geleitet hat und eben die Friedensgebete koordiniert hat, war auch jemand,
00:26:43
Speaker
der sehr stark auch darauf immer wieder gedrungen hat, Leute, wir müssen gucken, dass wir langfristig eine Wirksamkeit entwickeln.
00:26:52
Speaker
Wir dürfen nicht zu schnell sein.
00:26:53
Speaker
Wir müssen gucken, wie wir die Menschen, wie wir uns selbst mitnehmen können und weiterentwickeln können und auch wie wir die Menschen mitnehmen und erreichen können.
00:27:02
Speaker
Deswegen war eben da auch immer wieder...
00:27:05
Speaker
Dieses Credo, wir brauchen diesen etablierten Termin.
00:27:09
Speaker
Das ist zum Beispiel auch ein Unterschied zu Berlin.
00:27:11
Speaker
In Berlin gab es letzten Endes mehr und vielleicht auch stärkere Oppositionsgruppen als in Leipzig.
00:27:18
Speaker
Aber es gab zum Beispiel nicht diesen einen zentralen Termin.
00:27:22
Speaker
Leipzig hatte, glaube ich, genau die richtige Größe als zweitgrößte Stadt der DDR-Präsidentin.
00:27:29
Speaker
wo sich diese Bewegung eben nicht so zerflettert hat in einzelne Gruppen, sondern wir letztlich gemeinsam diesen einen Anlaufpunkt geschaffen haben und durch unterschiedliche Aktionen dann immer wieder dazu beigetragen haben, diese Wirkung zu verstärken.
00:27:47
Speaker
Und da gab es einfach viele Köpfe, die da immer wieder Gedanken, Überlegungen reingegeben haben und mit denen beschäftigt.
00:27:55
Speaker
anhand derer wir das Miteinander dann entwickelt haben.
00:28:00
Speaker
So würde ich das ausdrücken.
00:28:03
Speaker
Ja, es gab natürlich Jürgen Fuchs, Roland Jahn.
00:28:06
Speaker
Es gab ja Menschen, die aus der DDR verwiesen wurden und die aber eben sich ja weiter auch engagiert haben für Veränderungen in der DDR.
00:28:15
Speaker
Und das war für uns sowohl eine wichtige personelle Unterstützung in Westdeutschland, aber eben auch wichtige Gedanken und Überlegungen, die uns inspiriert haben.
00:28:26
Speaker
Ja, es ist auf jeden Fall super beeindruckend und auch, ihr habt ja auch so ein Handout oder mehrere Flugblätter zu der Gewaltlosigkeit auch geschrieben.
00:28:34
Speaker
Ich habe mir die tatsächlich auch oft angeschaut, bevor wir in den Protest gegangen sind.
00:28:38
Speaker
Also die sind ja immer noch aktuell heutzutage und finde ich wirklich toll.
00:28:42
Speaker
Ja, hat mich auf jeden Fall berührt und auch, du hast vorhin schon mal kurz drüber gesprochen, über die Repression.
00:28:48
Speaker
Da habe ich auch eine Sache gelesen, mit der konnte ich mich sehr identifizieren, und zwar, dass du, wenn du Tagebuch geschrieben hast, danach die Seiten kurz später wieder quasi vernichtet hast, damit sie nicht in die Hände der Stasi kommen, was ich auch...
00:29:03
Speaker
Ich schreibe auch sehr gerne eigentlich auf, aber fühle mich dabei nicht so sicher und vernichte die Blätter dann oft wieder, was total schade ist.
00:29:09
Speaker
Aber du hast ja auch selber gesagt, du und deine Familie standen dann unter Beobachtung und mussten immer diese Gespräche machen.
00:29:17
Speaker
Wie bist du damit umgegangen?
00:29:19
Speaker
Eine Zahnbürste hattest du, glaube ich, auch immer dabei, habe ich irgendwo gelesen, falls du dann verhaftet wirst.
00:29:24
Speaker
Wie war das für dich und wie war das vielleicht auch für die Menschen, die in ein paar Jahren
00:29:29
Speaker
vor dir schon Widerstand geleistet haben, da war es ja, glaube ich, nochmal krasser.
00:29:33
Speaker
Ja, das war ein Druck, der uns permanent begleitet hat und ich hatte das, muss man schon sagen, große Glück, dass ich den nur relativ kurz aushalten musste.
00:29:47
Speaker
Ich habe ja schon gesagt, das war so von Sommer 88 an, als ich eben bei meinen Eltern ausgezogen bin, dann bis Herbst, Jahreswechsel 89 in etwa.
00:29:59
Speaker
Also das waren anderthalb Jahre und dann
00:30:03
Speaker
Das war schon ein erheblicher Druck, wenn man irgendwie mit 17 weiß, dass eigentlich alles, was man tut, beobachtet werden könnte und dass man auch nicht...
00:30:18
Speaker
nichts von sich und seiner Persönlichkeit preisgeben darf.
00:30:21
Speaker
Also ich war ja irgendwie auch normale Jugendliche.
00:30:25
Speaker
Ich hatte Freundinnen, Freunde, wollte denen natürlich erzählen, wie es mir geht, was mich umtreibt und das eben auch ganz persönlich.
00:30:35
Speaker
Und mein damaliger Freund, der war 45,
00:30:38
Speaker
acht Jahre älter, der hat mich immer wieder gewarnt und gesagt, Katrin, pass auf und sei vorsichtig.
00:30:43
Speaker
Und hier, guck mal, die waren schon wieder in unserer Wohnung.
00:30:46
Speaker
Und das waren so viele Zeichen.
00:30:52
Speaker
Wir wurden ja teilweise auch offiziell beschattet, aber eben oft auch inoffiziell.
00:30:57
Speaker
Und das immer wieder abzuwägen, wo kann ich eigentlich auch mein Herz ausschütten?
00:31:02
Speaker
Ja, das ist ja etwas, was gerade...
00:31:06
Speaker
gerade so in der Adoleszenz und so ein Heranwachsen.
00:31:09
Speaker
Wer bin ich?
00:31:10
Speaker
Wovorhin geht es mit mir?
00:31:11
Speaker
Wie lebe ich Beziehungen und Freundschaft?
00:31:13
Speaker
Das waren ja auch alles Themen, die mich total beschäftigt haben in dieser Zeit.
00:31:18
Speaker
Und da immer zu wissen, alles davon kann mir gefährlich werden.
00:31:21
Speaker
Alles, was die Stasi weiß über meine Schwachpunkte, kann gegen mich genutzt werden.
00:31:27
Speaker
Das hat mich sehr, sehr bedrückt und auch wirklich viel Kraft gekostet in dieser Zeit.
00:31:34
Speaker
Und
00:31:35
Speaker
Und ja, das hat eben auch dazu geführt, dass ich einerseits Tagebuch geführt habe, weil mich das entlastet hat, weil das wichtig war für mich, um überhaupt irgendwie so als Person klarzukommen und gleichzeitig ich aber auch wusste, das darf nicht in die falschen Hände geraten.
00:31:51
Speaker
Wir wussten, unsere Wohnung wird immer wieder heimlich durchsucht, wenn wir nicht da sind und deswegen habe ich eben, ja, alle ein paar Tage spätestens diese Tagesbuchseiten dann auch wieder ausgerissen und
00:32:03
Speaker
vernichtet in den Ofen geworfen zu dem Zeitpunkt und verbrannt.
00:32:08
Speaker
Und das gab andere, auch Freundinnen, Freunde, die in der Zeit ja auch in den Knast gekommen sind, die verhört wurden.
00:32:17
Speaker
die nicht wussten, wann sie wie wieder rauskommen.
00:32:20
Speaker
Wenn man eben da im Knast ist, weiß man ja nichts von den Solidaritätsaktionen, die draußen stattfanden.
00:32:28
Speaker
Im Januar 1989 hatten wir in Leipzig die Luxemburg-Pliebknecht-Demo, wo auch einige meiner FreundInnen verhaftet wurden.
00:32:35
Speaker
Und ich habe dann eben mit Berliner Freunden zusammen in der Studentengemeinde in Leipzig das sogenannte Solidaritätstelefon organisiert, betreut.
00:32:44
Speaker
Wir haben tägliche Andachten gemacht.
00:32:47
Speaker
Und haben es geschafft, wirklich mit ganz viel Öffentlichkeitsarbeit über die Westpresse so einen Druck auch zu unterstützen, zu erzeugen, dass am Ende auch alle freigekommen sind.
00:32:58
Speaker
Aber das war natürlich eine Situation, wo ich auch einfach ganz große Angst um meine Freundinnen und Freunde hatte zu dieser Zeit, denn es war überhaupt nicht klar, was passiert

Faktoren und Folgen des Niedergangs der DDR

00:33:08
Speaker
mit ihnen.
00:33:08
Speaker
Und in dem Jahr vorher wurden ja auch viele ausgewiesen, damals die Templins und Stefan Krafcik und Freya Klier.
00:33:15
Speaker
Und
00:33:16
Speaker
Das hat schon sehr, sehr viel Angst uns gemacht.
00:33:20
Speaker
Ja, das kann ich sehr gut verstehen.
00:33:24
Speaker
Und gleichzeitig war, wie du gesagt hast, für uns, wir kamen alle wirklich auf mit einem, ich sage jetzt mal vorsichtig, christlichen Hintergrund, weil wir ja vielfach auch in christlichen Kontexten engagiert waren.
00:33:37
Speaker
Und diese Form des friedlichen Widerstandes etwas war, was uns sehr getragen hat.
00:33:45
Speaker
Und sehr unser aller Haltung entsprach, ja, Schwerter zu Flugscharen etc.
00:33:49
Speaker
Diese Forderung eben nach einem sozialen Friedensdienst, Stadtkriegsdienst etc.
00:33:55
Speaker
Aus der auch aus der ostdeutschen Friedensbewegung sozusagen kommend war für uns Gewaltfreiheit eine absolut klare Grundlage und Credo unseres Handelns und das ist.
00:34:08
Speaker
Das hat uns auch sehr verbunden und geeint, dass wir wussten, keine Gewalt ist für uns absolut wichtiger Grundkonsens unserer Gesellschaft.
00:34:19
Speaker
gemeinsamen, unseres gemeinsamen Widerstandes und das ist ja dann bis hin zum Herbst 89, als dann am 9.
00:34:28
Speaker
Oktober die entscheidende Demonstration stattgefunden hat, haben wir ja dann auch eben ein Flugblatt rausgebracht.
00:34:34
Speaker
Keine Gewalt, Gewalt hinterlässt ewig blutende Wunden und wir sind ein Volk, ja, im Sinne von
00:34:42
Speaker
Und diejenigen, die dort als Soldaten und Bereitschaftspolizisten auf der einen Seite stehen und diejenigen, die demonstrieren, wir sind ein Volk, das miteinander hier für diese Gesellschaft einsteht.
00:34:54
Speaker
Und das war für uns immer ein ganz, also das hat uns einfach sehr miteinander getragen, das Wissen, dass wir für keine Gewalt einstehen.
00:35:04
Speaker
Was denkst du hat dann 1989 den Ausschlag gegeben für den Umbruch und wie hast du diesen Tag dann erlebt?
00:35:12
Speaker
1989 sind viele Faktoren zusammengekommen.
00:35:18
Speaker
Das weiß ich natürlich auch jetzt erst retrospektiv aus der Beschäftigung mit den Themen und der Geschichtsschreibung darüber.
00:35:26
Speaker
Zum damaligen Zeitpunkt war für uns klar, in diesem Sommer 1989 haben einfach viele Menschen die DDR verlassen.
00:35:34
Speaker
Die Grenze in Ungarn wurde geöffnet.
00:35:36
Speaker
in Genscherwein, Tschechien, in der Botschaft.
00:35:39
Speaker
Und es gab einfach eine Art Massenexodus aus der DDR.
00:35:45
Speaker
Alle kannten Menschen, die in diesem Sommer die DDR verlassen hatten, deren Wohnungen leer standen.
00:35:50
Speaker
Und das hinterließ bei denen, die da blieben, das Gefühl von da geblieben, zurückgelassen zu sein.
00:35:59
Speaker
Und das Gefühl von dieses Land blutet aus, die Menschen gehen weg.
00:36:06
Speaker
Und es kann so nicht weitergehen, wir können das nicht ignorieren, es muss sich etwas ändern.
00:36:11
Speaker
Also das war, glaube ich, ein ganz starker Antrieb für viele Menschen damals in der DDR, dass es so greifbar wurde für alle.
00:36:22
Speaker
Und zugleich waren eben auch Aktivitäten von Widerstandsgruppen immer sichtbarer.
00:36:31
Speaker
Also es wurde immer mehr in den zwei Jahren zuvor in den Westmedien darüber berichtet.
00:36:36
Speaker
Die DDR-Führung hat sich auch nicht mehr verstanden.
00:36:39
Speaker
Wirklich getraut, die Menschen über Jahre hinweg zu verhaften, so wie das noch zehn Jahre vorher der Fall gewesen ist.
00:36:47
Speaker
Also es war auch klar, das System ist geschwächt und traut sich nicht mehr, so aggressiv vorzugehen wie vorher.
00:36:54
Speaker
Das heißt, man fühlte sich auch stärker.
00:36:57
Speaker
Wir hatten uns organisiert, wir hatten wie gesagt Druckmaschinen, wir haben Zeitschriften rausgebracht, wir haben uns, also das würde man jetzt heute nicht Zeitschrift nennen, aber mit dem Begriff Samestat können glaube ich die wenigsten etwas anfangen, eben wirklich so mit Ohmic-Maschinen oder Wachsdruckmaschinen gedruckte Untergrundblätter-Zeitungen umgebracht.
00:37:17
Speaker
Und wir haben uns DDR-weit organisiert, wir haben Aktionen miteinander koordiniert.
00:37:23
Speaker
Also die Bewegung ist in diesen Jahren schon auch sehr gewachsen und auch zusammengewachsen und hat sich sozusagen miteinander verstärkt.
00:37:34
Speaker
Und das war sicherlich auch ein...
00:37:38
Speaker
Ein wichtiger Teil dessen, zu dem eben auch gehörte, dass dieser Montag in Leipzig irgendwann nicht nur in Leipzig, sondern auch über Leipzig hinaus bekannt geworden ist.
00:37:51
Speaker
Und wir wissen ja heute auch, dass ungefähr zu der Zeit auch in Plauen,
00:37:57
Speaker
eine sehr, sehr große Demonstration stattgefunden hat, in der viele tausend spontan auf die Straße gegangen sind, hat viel zu wenig Öffentlichkeit gefunden, diese Demonstration bis heute.
00:38:08
Speaker
Und das ist aber eigentlich, glaube ich, auch der entscheidende Punkt, warum letzten Endes diese Demo in Leipzig so wichtig gewesen ist, weil sie viel mehr Öffentlichkeit hatte, also viel mehr Sichtbarkeit als andere Aktionen, weil das schon über so einen langen Zeitraum vorbereitet war und viele WestjournalistInnen
00:38:26
Speaker
wirklich nach Leipzig geguckt haben, wo sich das Montag für Montag aufgebaut hat.
00:38:30
Speaker
Es sind ja auch Menschen wirklich dann illegal an dem Tag nach Leipzig gekommen.
00:38:35
Speaker
Aram Radomski, Siegbert Schäfke, die dann die Bilder von der reformierten Kirche gemacht haben.
00:38:40
Speaker
Wir haben den Telefon gemacht, haben das berichtet nach Berlin.
00:38:44
Speaker
Also wir waren auch wirklich sehr, sehr gut organisiert, um eben dafür zu sorgen, dass diese Informationen auch sofort an diesem Abend rausdringen.
00:38:51
Speaker
Du hast da vorhin ein Bergates-Interview in den Tagesthemen gegeben.
00:38:56
Speaker
Und die DDR-Führung hat sich entschieden, nicht zu schießen.
00:39:00
Speaker
Und in dieser Gesamtlage sozusagen, diese vielen Faktoren, die da zusammengekommen sind, gleichzeitig eben auch eine wirklich wachsende wirtschaftliche Schwäche der DDR, also die Unzufriedenheit der Menschen auch mit der wirtschaftlichen Situation wuchs eben immer mehr.
00:39:15
Speaker
Und mit dem Wissen, immer mehr Menschen gehen, wuchs auch diese Frustration.
00:39:19
Speaker
Und so kam es am Ende dazu, dass wirklich ja 100.000 Menschen an diesem Montag,
00:39:25
Speaker
ihre Angst überwunden haben und auf die Straßen gegangen sind in Leipzig, zur Nikolai-Kirche und den anderen Kirchen gekommen sind und dann gemeinsam um den Ring demonstriert haben, obwohl sie in den Betrieben gewarnt wurden, obwohl wirklich ganz viele Warnungen ausgesprochen wurden, nicht in die Stadt zu fahren an diesem Montagnachmittag, hat sich da wirklich ein ganz aktiver Widerstand formiert aus der Bevölkerung heraus.
00:39:50
Speaker
Und da muss man wirklich sagen, da haben einfach in diesem Moment dann sehr viele Menschen wirklich,
00:39:55
Speaker
ihre Angst überwunden und haben gesagt, so kann es nicht weitergehen.

Herausforderungen der Wiedervereinigung

00:40:00
Speaker
Ja, ich finde, allein wenn du darüber redest, merkt man schon irgendwie so eine Kraft.
00:40:03
Speaker
Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen, wie krass das damals alles gewesen sein muss.
00:40:07
Speaker
Also Wahnsinn.
00:40:09
Speaker
Ich wollte mit dir auf jeden Fall aber auch noch auf die Zeit danach schauen.
00:40:13
Speaker
Also einmal konkreter direkt danach haben mir die runden Tische stattgefunden, die demokratische Strukturphase direkt nach der Rende, die den friedlichen Übergang sichern sollte von
00:40:25
Speaker
Diktatur eben zur Demokratie, wo dann ja auch jetzt Opposition mit der SED aufeinander getroffen seid und du warst Teil von diesen runden Tischen.
00:40:34
Speaker
Wie hast du das erlebt?
00:40:35
Speaker
Welche Chancen und auch welche Probleme gab es damals?
00:40:38
Speaker
Und hättet ihr rückblickend nochmal was anders gemacht oder würdet ihr das genauso machen mit den runden Tischen?
00:40:45
Speaker
Also gerne gleich zu den runden Tischen.
00:40:47
Speaker
Ich merke nur, mir geht noch ein Gedanke zu der vorherigen Frage durch den Kopf rum, die ich mir heute oft stelle, dass ich denke, meine Güte, wir waren damals in Leipzig 100.000 Leute auf dem Ring.
00:40:59
Speaker
Und letztlich hat diese Demonstration das System zum Stürzen gebracht.
00:41:03
Speaker
Es gab dann eben danach noch die wichtige große Kundgebung in Berlin und so weiter.
00:41:09
Speaker
Aber da war eben klar...
00:41:11
Speaker
Das System ist nicht nur geschwächt, es ist gestürzt.
00:41:15
Speaker
Es wird jetzt etwas Neues kommen und passieren.
00:41:18
Speaker
Und das heißt, dieser 9.
00:41:20
Speaker
Oktober in Leipzig war wirklich der entscheidende Tag für diese Entwicklung.
00:41:24
Speaker
Und da waren wir 100.000.
00:41:24
Speaker
Und wenn ich mich jetzt umgucke, wo überall 100.000 Menschen auf die Straße gehen und es passiert gar nichts.
00:41:33
Speaker
Jetzt gerade erst in Budapest mit der großen Pride-Demonstration oder eben auch die Demonstrationen dieses Jahr im Frühjahr oder gegen rechts.
00:41:42
Speaker
Und da ist ja letztes Jahr eben auch, dann ist ja die große Frage,
00:41:48
Speaker
Also was ist notwendig?
00:41:49
Speaker
Daran sieht man, dass eben so eine Situation nicht vergleichbar ist.
00:41:53
Speaker
Das System in der DDR war schon so geschwächt zu diesem Zeitpunkt, dass man heute sagen muss, da haben 100.000 Menschen, was uns damals unfassbar viel erschien,
00:42:02
Speaker
Und in der Diktatur ja auch eine riesen Menschenmenge ist.
00:42:06
Speaker
Die muss man ja erstmal mobilisieren in der Diktatur.
00:42:09
Speaker
Aber mit heutigen Augen würde ich sagen, es waren aber eben auch nur Hunderttausende.
00:42:14
Speaker
Und das ist eben im Vergleich jetzt heute eine Zahl, die eben bei Weitem nicht diese Macht entfalten kann, wie das damals der Fall gewesen ist.
00:42:23
Speaker
Das heißt, ja, also es war einfach auch eine...
00:42:26
Speaker
Wirklich besondere historische Situationen, in die man das natürlich auch einbetten muss.
00:42:31
Speaker
Und wenn ich jetzt nochmal schaue auf die Zeit danach, also für mich, also jemand, die dann zu dem Zeitpunkt letztlich 19 gewesen ist und da an den runden Tischen saß und mit darüber entscheiden durfte, sollte, konnte...
00:42:49
Speaker
Wie es jetzt weitergeht in diesem Land, in der Stadt.
00:42:53
Speaker
Ich würde heute sagen, ich war mit vielen einfach total überfordert.
00:42:57
Speaker
Ich hatte ja überhaupt keine in dem Sinne politische Grundbildung, außer das, was wir uns eben selber erarbeitet haben.
00:43:05
Speaker
Aber ich war auch geimpft.
00:43:06
Speaker
Kind der DDR, ich bin in diesen Grenzen und Begrenzungen ja groß geworden.
00:43:11
Speaker
Und da tatsächlich darüber hinaus zu denken und jetzt zu überlegen, wie kann es denn dann wirklich auch miteinander aussehen, das war einfach eine riesige Herausforderung, die natürlich
00:43:24
Speaker
einfach wirklich nicht mit Fingerschnipsen erledigt ist, für die es viel Zeit brauchte.
00:43:31
Speaker
Und ich habe zu dem Zeitpunkt sehr stark gehofft, dass es möglich sein wird, dass wir einen dritten Weg sozusagen finden.
00:43:40
Speaker
Wobei ich diesen Ausdruck heute jetzt eher nicht mehr benutzen würde natürlich.
00:43:45
Speaker
Aber im Sinne von, wie können wir einen Weg finden, dass diese DDR-DDR
00:43:51
Speaker
weiter existiert, aber eben anders als vorher.
00:43:54
Speaker
Nicht mehr als Diktatur, sondern als Land, in dem die Menschen offen und frei sind.
00:43:59
Speaker
Und damit bin ich damals angetreten an die runden Tische.
00:44:02
Speaker
An diesen Überlegungen habe ich eben mitgearbeitet und mich eingebracht und war dann sehr, sehr enttäuscht.
00:44:10
Speaker
Also diese Transformationszeit, dieses Jahr der Anarchie, wie man es ja nennens mal nennt, zwischen 9.
00:44:16
Speaker
Oktober 89 und dann eben der
00:44:19
Speaker
der Wiedervereinigung schon ein Jahr später, am 3.
00:44:21
Speaker
Oktober 1990.
00:44:22
Speaker
Dieses Jahr hat mich emotional durch eine unglaublich starke Bewegung geschickt, weil eben die Hoffnungen, mit denen ich da reingegangen bin in diese Veränderung, sich letzten Endes ja so nicht bewahrheitet haben, dass ich ein Jahr später dann Teil der Bundesrepublik sein würde.
00:44:42
Speaker
Das hätte ich mir am 9.
00:44:43
Speaker
Oktober nicht zu träumen gewagt und das war auch nicht mein politisches Ziel.
00:44:47
Speaker
Und ob wir da hätten etwas anders machen können, das denke ich tatsächlich nicht.
00:44:53
Speaker
Also mit meinem heutigen Blick sehe ich nicht, dass es eine andere Option gegeben hätte als letztlich eine Wiedervereinigung.
00:45:01
Speaker
Ich sehe nicht, dass ein Teilstaat sozusagen, also der Staat auf dem Gebiet der ehemaligen DDR,
00:45:09
Speaker
die wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft gehabt hätte, jetzt ein eigenes, tatsächlich auch ökonomisch und politisch funktionierendes System aufzubauen, das wirklich Bestand hat im weltweiten Wettbewerb.
00:45:22
Speaker
Insofern bin ich heute davon überzeugt, dass diese Idee oder diese Wunschvorstellung, die ich damals hatte, nicht umsetzbar gewesen ist.
00:45:30
Speaker
Aber ich bin trotzdem auch traurig über das Tempo der Wiedervereinigung.
00:45:37
Speaker
Das ist ja ein Tempo, das die DDR-Bevölkerung selbst gewählt hat mit der Volkskommunenwahl am 18.
00:45:42
Speaker
März.
00:45:42
Speaker
Das war natürlich für uns, für die Menschen aus den Bürgerbewegungen wichtig.
00:45:46
Speaker
schon auch eine große Enttäuschung, das Ergebnis dieser Wahl, mit der der Großteil der DDR-Bevölkerung für diese sehr schnelle Wiedervereinigung gestimmt hat und sich eben letztlich genau auch dafür ausgesprochen hat, dass keine langwierigen Verhandlungen und Überlegungen oder eine gemeinsame Verfassung oder ähnliches stattfindet, sondern sich die DDR letztlich eben einfach der Bundesrepublik angeschlossen wird.
00:46:11
Speaker
Und das war ja...
00:46:14
Speaker
Ein Schritt, der mich schon erstmal auch politisch zu dem Zeitpunkt sehr desillusioniert hat, muss ich sagen.
00:46:21
Speaker
Auch wenn ich heute natürlich mit dem politischen Wissen von heute auch verstehe, dass es damals auch eine große Angst gab, dass Russland bzw.
00:46:31
Speaker
eben die Sowjetunion,
00:46:32
Speaker
auch diesen Schritt wieder rückgängig macht und es eben nicht möglich ist, dass die DDR sich da wirklich aus diesem sowjetischen Machtblock lösen kann und deswegen auch Eile geboten schien für diesen Schritt der Wiedervereinigung.
00:46:47
Speaker
Das ist mir heute auch klar, aber trotzdem emotional bleibt da eben eine Traurigkeit, dass es nicht dazu gekommen ist, eine gemeinsame Verfassung zu erarbeiten und ich glaube auch, dass
00:46:58
Speaker
Dieser letztlich nicht erfolgte Aufarbeitung und Diskussion auch innerhalb der DDR-Bevölkerung über die Zeit der DDR und ein Erarbeiten von eigenen Ideen und Vorstellungen, wie dieses Land zusammenwachsen kann,
00:47:14
Speaker
dass das auch etwas ist, was uns heute auf die Füße fällt.
00:47:18
Speaker
Ob es sich hätte vermeiden lassen, ich weiß es nicht, kann ich nicht sagen.
00:47:22
Speaker
Also da bin ich überfragt, aber ich sehe auf jeden Fall, dass da eben auch Schritte nicht erfolgt sind, die aus meiner Sicht wichtig gewesen wären.
00:47:31
Speaker
Ja, das ist ja leider was, was wir ja oft sehen mit Revolution, dass ganz viel Energie da reinfließt, die Revolution selber zu planen, aber gar nicht so viel anders danach gedacht

Politische Ausgrenzung und Anerkennung ostdeutscher Geschichte

00:47:42
Speaker
wird oder dass halt einfach auch man am vulnerabelsten und am gefährdetsten ist in der Zeit danach, weil sich da eben Mächteverhältnisse verschieben können in die eine oder die andere Richtung und deswegen, ja, es ist auf jeden Fall...
00:47:55
Speaker
Total, auch habe ich selber schon oft gedacht, wichtig, das Ende von der Kampagne noch weiter mitzuplanen und nicht nur den Anfang und die Mitte sozusagen.
00:48:03
Speaker
Aber wie blickst du jetzt heute auf Ostdeutschland?
00:48:07
Speaker
Weil du hast gesagt, politisch das funktioniert.
00:48:09
Speaker
Das ist ja ein Gefühl oder politische Ohnmacht, was viele Menschen heutzutage da noch haben.
00:48:15
Speaker
Also ich war damals, als ich sozusagen teilzunehmen,
00:48:21
Speaker
Teil dieser Entwicklungen nach 89 war, zunächst mal politisch sehr desillusioniert und habe auch gesagt, okay,
00:48:29
Speaker
Also ich bin dann ja noch für die Bürgerbewegung in den ersten Sächsischen Landtag mitgegangen, habe dort in der Fraktion mitgearbeitet und eben Gesetzesvorschläge mitgearbeitet und dann erlebt, dass wir unglaublich viel Energie der reinsteckenden Bevölkerung mobilisieren, um gemeinsam Ideen zu entwickeln.
00:48:47
Speaker
Aber am Ende aus unseren Vorschlägen, die wir aus der Opposition heraus eingebracht haben in einen Landtag, der eine absolute Mehrheit einer Partei hatte zu diesem Zeitpunkt,
00:48:58
Speaker
dass wir überhaupt gar keine Chancen hatten, unsere Ideen einzubringen.
00:49:02
Speaker
Und das hat mich damals schon auch sehr, sehr ratlos und desillusioniert gemacht.
00:49:07
Speaker
Und ich habe dann gesagt, okay, ich muss jetzt überhaupt erst mal verstehen, wie eigentlich Politik funktioniert in diesem Land, in dem ich jetzt lebe und in dem ich jetzt Bürgerin bin.
00:49:18
Speaker
Ich habe eigentlich gar keine Ahnung, wie man hier politisch wirksam sein kann.
00:49:22
Speaker
Und das hat mich dann dazu geführt, mich zu entscheiden, dass ich mein Abi nachgemacht habe und dann eben Soziologie und Politik studiert habe, um, wie gesagt, dieses System einfach überhaupt erst mal verstehen zu können.
00:49:35
Speaker
Und ich bin heute davon überzeugt,
00:49:38
Speaker
Dass die ostdeutschen Bundesländer sehr stark davon profitiert haben, dass wir gewachsene politische Strukturen der Demokratie übernehmen konnten aus Westdeutschland, was ja viele andere ostdeutschen Länder eben nicht, osteuropäische Länder eben nicht konnten und sich ganz, ganz vieles erstmal erarbeiten mussten.
00:49:57
Speaker
Das hat uns auch ganz viel geholfen.
00:49:59
Speaker
Stärke gegeben, auch wirtschaftliche Stärke gegeben, die die andere Länder so überhaupt nicht zurückgreifen konnten.
00:50:06
Speaker
Und gleichzeitig gab es eben auch große Verwerfungen.
00:50:09
Speaker
Das Thema Treuhand, viele Menschen haben Eigentum, von dem sie dachten, es wäre ihr Eigentum verloren an Rückübertragungsansprüchen.
00:50:19
Speaker
Viertel der Menschen hatten nicht mehr die Arbeit, die sie vorher hatten.
00:50:23
Speaker
Die ganzen Berufsbiografien wurden entwertet und bis heute haben wir eben einen Diskurs in Gesamtdeutschland, in dem ostdeutsche Geschichte und Biografien einfach weggewischt wird.
00:50:39
Speaker
Und das, glaube ich, war ein Kurs.
00:50:41
Speaker
Großer Fehler, dass vielfach in Westdeutschland geglaubt wurde, ach die Menschen im Osten, die sind froh, dass sie das jetzt endlich los sind.
00:50:50
Speaker
Die gucken nur mit Bedauern auf ihr ganzes Leben zurück, das sie in der DDR verbringen mussten und sind einfach wahnsinnig froh, dass sie jetzt endlich im Westen sind.
00:50:59
Speaker
Das galt vorhanden.
00:51:01
Speaker
Vielleicht für den Zeitraum von ein, zwei Jahren am Anfang dieser Veränderungen zunächst einmal in der Euphorie, aber langfristig galt das eben nicht.
00:51:10
Speaker
Und langfristig haben viele Menschen erlebt, dass ihre Geschichte quasi nicht vorkommt im gesamtdeutschen Diskurs.
00:51:20
Speaker
Also das fängt ja bei ganz kleinen Dingen an.
00:51:22
Speaker
Wenn ich eine Zeitung aufschlage und da geht es ums Freizeitverhalten der Deutschen seit 1945, dann wird da eben das Freizeitverhalten verfolgt.
00:51:30
Speaker
der westdeutschen Bevölkerung erzählt, aber nicht der ostdeutschen.
00:51:33
Speaker
Also ganz oft haben wir eine Leerstelle da, wo es eigentlich um ostdeutsche Biografien geht.
00:51:38
Speaker
Und das merken natürlich Menschen aus Ostdeutschland, dass sie quasi nicht vorkommen.
00:51:42
Speaker
Und das hat, glaube ich, mit der Zeit, obwohl es vielen Menschen, viele Menschen sagen ja in Ostdeutschland, es geht ihnen wirtschaftlich gut, es geht ihnen wirtschaftlich sogar sehr gut.
00:51:52
Speaker
Und trotzdem gibt es da eine große Unzufriedenheit und das hat aus meiner Sicht eben sehr viel mit ideeller Anerkennung zu tun und da wurde, glaube ich, zu viel ausgeblendet und nicht gesehen und das leider auch bis heute.

Bedeutung von Dialog und Engagement in der Demokratie

00:52:09
Speaker
Und nicht umsonst haben ja teilweise Bücher, die das thematisieren, eben auch einen großen, finden einen großen Zulauf in Ostdeutschland.
00:52:17
Speaker
Und ich glaube, dass das auch ein Grund war, warum die AfD sich strategisch darauf ausgerichtet hat, zunächst in Ostdeutschland zu mobilisieren, weil sie genau diese vorhandene Unzufriedenheit sehr gut adressieren konnten.
00:52:30
Speaker
Aber man darf nicht vergessen, Unzufriedenheit ist immer mobilisierbar.
00:52:35
Speaker
Die wird auch in Westdeutschland mobilisierbar sein.
00:52:38
Speaker
Aber sie war eben in Ostdeutschland zunächst mal leichter mobilisierbar.
00:52:43
Speaker
Und genau das war auch das Kalkül der Rechten.
00:52:47
Speaker
Und das hat man jetzt eben leider auch erreicht.
00:52:50
Speaker
Ja, ganz wichtig, dass du das nochmal gesagt hast.
00:52:52
Speaker
Genau, ich stimme dir da auf jeden Fall bei einem zu.
00:52:55
Speaker
Um jetzt noch einmal auf unsere letzte Abschlussfrage zu kommen, das ist, ja, wenn wir Gäste haben, auch eine kleine Tradition zu fragen, was würdest du den Menschen, die vielleicht heute ein Ohnmachtsgefühl haben und Unrecht verschwören, aber nicht recht wissen, wie sie sich einsetzen sollen, mitgeben, was können wir lernen von der DDR-Bürgerbewegung?
00:53:14
Speaker
Und ich finde es ganz spannend, dass du das gesagt hast mit den 100.000, weil das haben wir hier auch schon, es tut mir leid, wenn ich mich wiederhole, aber schon oft besprochen, dass es eben nicht ausreicht, ein
00:53:23
Speaker
einfach nur eine große Demonstration zu machen, sondern dass ja ganz, ganz viel Arbeit dahinter steckte, wie ihr das auch gezeigt habt, was sich ja leider heutzutage durch so die sozialen Netzwerke immer noch oberflächlicher wird, sage ich mal.
00:53:35
Speaker
Aber genau, was würdest du den Menschen aus deiner Sicht mitgeben?
00:53:39
Speaker
Also ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, dass wir uns klar sind darüber, dass die Demokratie eben kein Selbstläufer ist, dass sie uns alle braucht, um zu leben und dass gleichzeitig aber auch Demokratie eben etwas ist, ein Gemeinwesen ist, in dem ich immer wieder auch Kompromisse herstellen muss und gucken muss, wo ist ein Kompromiss für mich machbar und gangbar und wo überschreitet er meine rote Linie.
00:54:07
Speaker
Und ich glaube, was wir alle versuchen müssen, ist so ein bisschen wieder aus dieser Aufregergesellschaft rauszukommen, in der wir uns vielfach befinden.
00:54:17
Speaker
Und das erlebe ich von verschiedenen Seiten aus.
00:54:20
Speaker
Und das tut uns, glaube ich, allen nicht gut, weil wir dadurch immer weniger miteinander tatsächlich im Gespräch sind.
00:54:28
Speaker
Und ich sehe da die sozialen Netzwerke auch als ein Riesenthema.
00:54:32
Speaker
Ich habe noch keine Idee, wie wir damit künftig einen Umgang finden.
00:54:36
Speaker
Ich war jetzt gerade am Wochenende auf einer großen Fährüberfahrt nach Finnland und ich habe mich so umguckt und dachte, Wahnsinn, um mich rum sitzen lauter Menschen, die lesen Bücher oder kommen auch mit Fremden ins Gespräch.
00:54:48
Speaker
Das hatte damit zu tun, dass man auf der Fähre eben kein Internet hat und niemand ins Handy starte.
00:54:53
Speaker
Und das war so ein bisschen wie aus einer alten Zeit.
00:54:56
Speaker
Und mir ist nochmal so bewusst geworden, also sich wirklich tiefer mit Themen auseinanderzusetzen, mit Widersprüchlichkeiten auseinanderzusetzen.
00:55:05
Speaker
Es gibt ja auch für die meisten Dinge einfach nicht nur schwarz und weiß.
00:55:10
Speaker
Aber so eine wirklich differenzierte Auseinandersetzung, das ist ja nichts, was wir in sozialen Medien leisten können dazu.
00:55:16
Speaker
Müssen wir eben auch mal längere Texte lesen und tiefergehende Diskussionen führen, ohne uns gleich über einen anderen Standpunkt anzusehen.
00:55:23
Speaker
Und das ist etwas, ich weiß noch nicht, wie wir das mehr wieder in unserem Leben etablieren können, angesichts dessen, dass wir in so einer immer schneller werdenden Zeit- und Aufregungslevel leben.
00:55:37
Speaker
Aber ich glaube, dass das wirklich für Gemeinschaft absolut kein guter Weg ist.
00:55:43
Speaker
Und wir müssen über verschiedene Lager hinweg miteinander im Gespräch bleiben,
00:55:49
Speaker
Damit meine ich auf gar keinen Fall rechtsextreme Lager.
00:55:53
Speaker
Da ist eine absolut rote Linie.
00:55:57
Speaker
Aber ich erlebe zum Beispiel im Moment auch Menschen, die sagen, wir reden nicht mehr mit der CDU.
00:56:02
Speaker
Da muss ich sagen, das geht nicht.
00:56:03
Speaker
Wir können nicht eine Gesellschaft gestalten jenseits.
00:56:07
Speaker
jenseits der Bevölkerung.
00:56:10
Speaker
Wir müssen überlegen, wer ist eine demokratische Partei und eine demokratische Partei ist vielleicht nicht in allem meiner Meinung.
00:56:18
Speaker
Ich schließe mich ja auch in vielen Emanzipationsbewegungen an und sehe mich da eher in einer sehr progressiven Richtung und trotzdem weiß ich, es geht am Ende darum, in der Demokratie gemeinsam, wie gesagt, immer wieder auch das kleinste gemeinsame Vielfache zu finden,
00:56:35
Speaker
Und für Demokratie miteinander einzustehen und da jeweils um die Lösungen zu ringen.
00:56:40
Speaker
Und da glaube ich, tun wir uns nicht gut daran, wenn wir einander eher ausgrenzen, sondern wir müssen gucken, wo können wir zusammenkommen.
00:56:50
Speaker
Was können wir miteinander bewegen?
00:56:52
Speaker
Auch, wie gesagt, aus unterschiedlichen politischen Lagern heraus Brücken zu bauen, um gemeinsam für diese Demokratie einzustehen.
00:56:59
Speaker
Also ich glaube, so dieses gemeinsame Ziel, für das man dann unterschiedliche Mittel wählen kann, aber dafür gemeinsam einzustehen und wirklich immer wieder zu gucken, wie können wir uns verbinden miteinander über unterschiedliche einzelne Zielrichtungen hinweg, das finde ich, ist ganz, ganz wichtig aus meiner Sicht.
00:57:19
Speaker
Ja, sehr schön gesagt.
00:57:22
Speaker
Ich habe mir überlegt, für mein Zitat, was ich am Ende immer mitbringe, war nicht das wie mit Bernd Rücke, in der Folge, die wir zum Volkszählungsbalkot gemacht haben, dass ich einfach dich zitieren werde.
00:57:33
Speaker
Du hast so viele schöne Zitate und ein Zitat, was ich gefunden habe, das fand ich extrem schön.
00:57:39
Speaker
Und zwar hast du einmal gesagt, in der Revolution von 1989 lernte ich, dass sich alles verändern lässt.
00:57:45
Speaker
Und das fand ich total schön, weil das zeigt einfach die Kraft,
00:57:50
Speaker
Und trotz der Gefahren und Risiken, mit denen ihr konfrontiert wart, sich Machtverhältnisse doch verschieben lassen und wir auch Dinge in der Hand haben, von denen wir nicht wissen, dass wir sie in der Hand haben oder das manchmal vergessen und das fand ich richtig toll und wollte das nochmal am Ende sagen.
00:58:06
Speaker
Aber Katrin, es hat mich echt mega gefreut, dass du da warst.
00:58:10
Speaker
Vielen, vielen Dank, dass du deine Geschichte oder eure Geschichte geteilt hast.
00:58:13
Speaker
Das ist richtig wichtig.
00:58:15
Speaker
Sehr gern.
00:58:15
Speaker
Vielen Dank für die Einladung.
00:58:17
Speaker
Hat mir freudig gemacht, darüber wieder auch nachzudenken und mit dir zu sprechen.
00:58:23
Speaker
Schön, das freut mich sehr.
00:58:26
Speaker
Genau, und dann euch, wenn euch die Folge gefallen hat, dann schreibt uns doch gerne, was euch sonst noch interessieren würde an Themen oder lasst eine kleine Spende da, damit dieser Podcast weiterlaufen kann.
00:58:37
Speaker
Und ja, wir bedanken uns auch bei der Stiftung Kraft der Gewaltfreiheit, mit der wir zusammenarbeiten an den Postproduktionen zum Staunen.
00:58:44
Speaker
Und ich höre euch dann wieder am letzten Donnerstag im Monat.
00:58:48
Speaker
Macht's gut, bis dahin.
00:58:50
Speaker
Tschüss.
00:58:52
Speaker
This fight is one that you can win.