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T&T06 Deutsche Protestgeschichte

Tee & Taktik
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252 Plays11 months ago

Wusstest du, dass friedlicher Protest in Deutschland ganze Inseln zurückerobert und die Verfassung gestärkt hat? In dieser Folge werfen wir einen spannenden Blick auf die weniger bekannten Kapitel der deutschen Widerstandsgeschichte: Von der friedlichen Invasion auf Helgoland bis zu den Göttinger Sieben und Protesten gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen. Wie haben Menschen in Deutschland  ihre Rechte erkämpft, was können wir daraus für heute lernen, und warum wird ziviler Widerstand oft erst im Nachhinein gefeiert? Eine inspirierende Reise durch historische Beispiele, die zeigt, dass Protest ein wichtiger Bestandteil der Demokratie ist. Hör rein und lass dich von Geschichten voller Mut und Kreativität begeistern!

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Danke an

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→ unseren Partner für die Postproduktion, das Kreativstudio für Wissenschaftskommunikation Zum Staunen*

→ Aimée van Baalen für die Social Media Arbeit

→ Dr. Barbara Müller für ihren informativen Beitrag zum Ruhrkampf!

Shownotes

Triggerwarnung: Es geht bei Min 28- 30 um Schwangerschaftsabbrüche

Disclaimer: Der Gewinn an politischer Freiheit in der DDR war positiv, jedoch brachte der Zerfall für manche auch negative Folgen wie sinkende Lebensqualität, während die Montagsdemonstrationen primär eine demokratische Erneuerung statt die Integration in die BRD und den Kapitalismus anstrebten.

Einspieler Mauerfall: Günter Schabowski

Leas Auftritt bei den Münchner Kammerspiele für mehr deutsche Widerstandsbeispiele

Widerstand auf Helgoland

Anti Atomkraft

Barbara Müller: Kämpferische Demokratie. Militärische Besetzung und gewaltlose Befreiung des Ruhrgebiets 1923 - 1925 (2025, Irene Publishing)

Göttinger Sieben

Säulen der Unterstützung

smart repression (Buch von Lea: “Die Zeit für Mut ist Jetzt” (Fischer Verlage) Kapitel 2)

Frauenbewegung Paragraph 218

Politisches Jiu jitsu/Backfire Grundlagen

Willy Brandt Zitat

gewaltfreie Aktion

waging nonviolence

Deutsche Teekultur

Transcript

Einführung in 'Tee und Taktik'

00:00:07
Speaker
Hallo und herzlich willkommen zu Tee und Taktik, deinem Podcast zu strategischem Protest.
00:00:14
Speaker
Wir sind Lea und Lila.
00:00:15
Speaker
Hallo.
00:00:17
Speaker
Herzlich willkommen.
00:00:21
Speaker
Und hallo auch zu dieser Folge, in der wir uns mal wieder darüber unterhalten über die Forschung und Praxis des zivilen Widerstandes.

Rückblick auf die letzte Folge

00:00:30
Speaker
Das letzte Mal hatten wir uns ja ein bisschen die Macht transnationaler Konzerne angeguckt und wie ziviler Widerstand da vielleicht ein Schlüssel sein kann.
00:00:39
Speaker
Ja, hallo auch von mir.
00:00:41
Speaker
Ich freue mich wieder hier zu sein.
00:00:43
Speaker
Ich sitze hier auch gerade mit meinem Tee.
00:00:45
Speaker
Ich liebe es ja, wenn es draußen so richtig schön kalt ist und man dann mit seinem warmen Tee drin sitzt.

Teekultur in Deutschland

00:00:51
Speaker
Und ich habe heute mal zum Auftakt ein paar Fakten rausgesucht über die deutsche Teekultur.
00:00:57
Speaker
Und wusstest du, dass Deutsche durchschnittlich 70 Liter Tee im Jahr trinken?
00:01:02
Speaker
Also circa 300 Tassen Tee pro Kopf.
00:01:05
Speaker
Ich muss sagen, ich habe da auch immer ein bisschen Angst, dass viele unserer Zuhörerinnen Kaffeetrinkerinnen sind und wir die so ein bisschen verschrecken.
00:01:13
Speaker
Naja, ich muss ja auch zugeben, dass ich morgens schon leidenschaftlich gerne auch meinen Kaffee trinke, aber ich liebe eben auch Kräutertee.
00:01:19
Speaker
Also ich glaube, durch mich wird der Durchschnitt sehr angehoben.
00:01:26
Speaker
Und was sind so die Lieblingssorten?
00:01:28
Speaker
Steht das da auch?
00:01:30
Speaker
Ja, ich habe tatsächlich herausfinden können, dass neben Kräutertees vor allen Dingen Schwarztee und Früchtetee ganz vorne mit dabei sind.
00:01:37
Speaker
Ja, mag ich beides auch nicht so gern.

Friedliche Proteste in der Geschichte Deutschlands

00:01:40
Speaker
Der Grund, warum ich hier ein paar Fakten zu deutscher Teekultur teile, ist, weil es einen kleinen Hinweis gibt auf das Thema heute.
00:01:48
Speaker
Und zwar beschäftigen wir uns mit der deutschen Widerstandsgeschichte.
00:01:52
Speaker
Also Beispiele hier um die Ecke quasi, in denen friedlicher ziviler Widerstand geleistet wurde, um heutige Rechte zu erkämpfen.

Erfolg der friedlichen Revolution und Mauerfall

00:02:01
Speaker
Und ein Ereignis, was wahrscheinlich sofort präsent ist, wenn man über deutsche Widerstandsgeschichte spricht und dieses Jahr 35.
00:02:09
Speaker
Jubiläum hat, ist der Mauerfall.
00:02:12
Speaker
Und vielleicht hat man auch schon darüber gehört, über die friedliche Revolution, wie es ja auch manchmal genannt wird in dem Zusammenhang.
00:02:19
Speaker
Aber ja genau, es war ja eben November 89, das sind echt 35 Jahre her.
00:02:24
Speaker
Da wurde Gesetzentwurf verkündet zur Reisefreiheit und es sollte den Zuspruch der Bevölkerung bekommen, weil sich eben natürlich immer mehr Leute auch das Land verlassen wollten etc.,
00:02:36
Speaker
Aber das ist nach hinten losgegangen, weil da waren lauter verschiedene Schwachstellen und die Bevölkerung hat sich so ein bisschen hinters Licht gefühlt und hat auch dagegen protestiert.
00:02:47
Speaker
Da waren ja auch damals diese Montagsdemos und da wurde Kritik bei der nächsten Montagsdemo dann laut und das Politbüro wollte daraufhin sehr schnell handeln, um die Proteste eben so ein bisschen zu besänftigen.
00:02:58
Speaker
Von daher kam es dann zu einer schnellen Regierungsverordnung, die dann eben am 9.
00:03:03
Speaker
November 1989 in einer Pressekonferenz durch Günter Schabowski, Mitglied des DDR-Politbüros, verlesen wurde.
00:03:11
Speaker
Eben die Verkündung der Öffnung der Grenzen und die souveräne Entscheidung des Bürgers zu reisen, auch ständige Ausreisen,
00:03:20
Speaker
Das war allerdings etwas zu früh.
00:03:21
Speaker
Also das war 19 Uhr ungefähr die Pressekonferenz und eigentlich sollte es am nächsten Tag um vier Uhr morgens über eine Radioansage verkündet werden.
00:03:29
Speaker
Und die Grenzsoldaten waren natürlich darauf auch nicht vorbereitet und es gab da so ein kleines Chaos.
00:03:36
Speaker
Aber ganz gut, dass es da nicht zu Eskalationen kam durch diese Verwirrung.
00:03:41
Speaker
Ja, auf jeden Fall krass.
00:03:42
Speaker
Warum haben wir uns dann dieses Thema heute ausgesucht?

Bedeutung unbekannter Widerstandsgeschichten

00:03:45
Speaker
Also, als ich angefangen habe, mich mit dem zivilen Widerstand zu beschäftigen, da bin ich auf zwei große Themen gestoßen, bei denen ich es super schade fand, dass die in der Allgemeinheit so unterbeleuchtet sind.
00:03:58
Speaker
und man nur viel darüber erfährt, wenn man wirklich tief sucht.
00:04:01
Speaker
Und ich habe angefangen, zwei Listen zu schreiben und alles zu sammeln, was ich finden konnte und das dann immer versucht, so viel wie möglich zu teilen, weil mir das in meiner Protestarbeit extrem viel Kraft und Motivation gegeben hat.
00:04:13
Speaker
Und das ist zum einen, dass ich eine Liste angelegt habe mit Frauen und anderen diskriminierten Gruppen,
00:04:19
Speaker
super viel Widerstand geleistet haben oder auch mussten, um sich ihre Rechte zu erkämpfen.
00:04:25
Speaker
Die finde ich richtig gut, diese Liste.
00:04:27
Speaker
Und ich finde es echt super, dass du das gemacht hast.
00:04:29
Speaker
Die inspiriert mich auch total und hilft mir auch immer wieder dann zu gucken, bevor man eben schnell ein Martin Luther King oder Gandhi Zitat einstreut, dass man da nochmal nachguckt.
00:04:38
Speaker
Was haben eigentlich die Frauen gesagt?
00:04:40
Speaker
Und deswegen vielen Dank auch dafür, auch fürs Teilen.
00:04:42
Speaker
Schön, das freut mich sehr, dass die auch genutzt wird.
00:04:46
Speaker
Genau, und die andere Liste, die ich so angelegt habe, ist eben mit Beispielen aus der deutschen Geschichte, weil ich da immer wieder auf spannende Ereignisse gestoßen bin, die an Orten passiert sind, die ich auch kannte.

Deutschlands Widerstandsgeschichte

00:04:59
Speaker
Und es hat mich so genervt, dass wenn ich auf Veranstaltung bin oder Interviews gebe, dann oft von der Moderation oder auch von den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, gesagt wurde,
00:05:08
Speaker
Ja, Protest ist doch toll und gerechtfertigt, wie bei der Unabhängigkeitsbewegung in Indien oder der Bürgerrechtsbewegung in den USA.
00:05:17
Speaker
Aber hier bei uns in Deutschland spielt Widerstand doch überhaupt nicht so eine große Rolle.
00:05:22
Speaker
Und ja, diese Aussage ist einfach falsch, weil wir vergessen allzu oft, wie viel unserer Grundwerte mit friedlichem Widerstand überhaupt erstritten wurden.
00:05:33
Speaker
Und ich hatte Anfang des Jahres eine richtig tolle Chance, bei den Münchner Kammerspielen über die deutsche Widerstandsgeschichte zu sprechen im Rahmen der Veranstaltungsreihe Erde, Feuer, Wasser, Luft und konnte da nochmal richtig tief in das Thema eintauchen.
00:05:47
Speaker
An der Stelle auch nochmal schöne Grüße nach München.
00:05:50
Speaker
Es hatte richtig Spaß gemacht, da ganz viele Bilder und Geschichten aus der deutschen Widerstandsgeschichte in so einem
00:05:57
Speaker
voll im posanten Raum teilen zu können.

Helgoland: Vom Ferienort zum Protestsymbol

00:06:00
Speaker
Und ja, ein Beispiel, was ich dort tatsächlich nicht genannt habe, aber was für mich so der Punkt war, der auch mit am besten aufzeigt, wieso das Bewusstsein von unserer Widerstandsgeschichte so wichtig ist, ist Helgoland.
00:06:14
Speaker
In Helgoland, da habe ich schon als kleines Kind Urlaub gemacht, hatte da voll die aufregende Schifffahrt und habe Robben gesehen und es war voll der coole Urlaub.
00:06:23
Speaker
Aber ich habe erst viele Jahre später erfahren, dass genau an diesem Ort in Deutschland eben auch friedlicher Widerstand geleistet wurde.
00:06:32
Speaker
Also dass Helgoland nicht immer schon dieser ruhige Ort für Urlaub am Meer war, sondern dass viele vergessen oder auch gar nicht wissen, dass es mal militärisches Sperrgebiet unter britischer Kontrolle war nach dem Krieg.
00:06:46
Speaker
und unbewohnbar und halt regelmäßig da so Bombenübungen gemacht wurden.
00:06:50
Speaker
Und zu der Zeit, also in den 50ern, war in Deutschland gerade viel über das Thema Wiederbewaffnung gesprochen worden.
00:06:57
Speaker
Und zwei Heidelberger Studenten, René Leutzdorf und Georg von Hatzfeld, haben sich eben entschieden, ein Zeichen für Frieden zu setzen und haben Helgoland als passenden Ort für ihren Protest ausgewählt.

Besetzung von Helgoland 1950

00:07:11
Speaker
Deswegen haben sie im Dezember 1950 dann ihre friedliche Invasion gestartet und die Insel besetzt und zwischen diesen Trümmern und Bombenkratern zwei Tage und Nächte eben ausgeharrt als ein Symbol für den gewaltfreien Protest.
00:07:27
Speaker
Ihr Einsatz wurde europaweit sehr in den Medien berichtet und die haben dann zusammen mit anderen Protestierenden, die auch auf die Insel gekommen sind, so ein klares Zeichen gesetzt und schließlich dann auch Erfolg gehabt, dass am 21.
00:07:42
Speaker
Februar 1951 Helgoland von den Briten zurück an Deutschland gegeben wurde und die Insel eben wieder aufgebaut werden konnte, also was
00:07:51
Speaker
mir überhaupt nicht bewusst war.
00:07:53
Speaker
Genau, und da habe ich noch zwei interessante Aussagen gelesen, über die ich gestolpert bin.
00:07:58
Speaker
Einmal von einem der Protestierenden, René Leudesdorf, der im Norddeutschen Rundfunk gesagt hat, dass die Insel sowieso nicht gegen gewaltfreie Besetzung mit militärischen Mitteln zu halten ist.
00:08:10
Speaker
Das hat dann schließlich den britischen Royal Air Force Chef überzeugt.
00:08:14
Speaker
Also das, worüber wir die ganze Zeit reden, Dalila.
00:08:18
Speaker
dass Gewaltfreiheit so viel Macht hat und sogar über Gewalt oder Militär siegen kann.
00:08:24
Speaker
Das konnte man an dem Beispiel sehen.
00:08:26
Speaker
Und von einem Friedensforscher, von Theodor Ebert, der im Interview mit der Taz gesagt hat, hätte man die Besetzung fortgesetzt, dann wären die politischen Kosten weitaus höher gewesen als der militärische Nutzen.
00:08:40
Speaker
Und auch das genau wieder, was wir vor allen Dingen auch in der letzten Folge gesagt haben, das ist
00:08:44
Speaker
eine Kosten-Nutzen-Rechnung ist, ab wann sich die Machtverhältnisse verschieben und eben neue Möglichkeiten-Fenster ergeben.
00:08:51
Speaker
Genau, und ich finde es einfach total wichtig zu zeigen, unsere Rechte waren nicht einfach da, sondern man nimmt vielleicht vieles für selbstverständlich, aber das ist sehr tief die Geschichte mit Protest verwoben, auch hier in Deutschland.
00:09:06
Speaker
Deswegen die kleine Reise heute.
00:09:12
Speaker
Ja, es gibt echt so viele Beispiele und es ist zum Teil, finde ich, echt schon erschreckend manchmal, dass man das nicht wirklich im Geschichtsunterricht erfährt davon.
00:09:21
Speaker
Was man ja schon vielleicht kennt, ist die Anti-Atomkraft-Bewegung, die relativ bekannt ist, die in den 70er Jahren angefangen hat und eben ziemlich viel gewaltfreien zivilen Widerstand und eben diese Art der Aktionsform gegen Atomkraftwerke, aber auch eben die Atommülllagerung etc.
00:09:41
Speaker
protestiert hat.
00:09:42
Speaker
Aber es gibt eben so viele andere faszinierende Beispiele auch, die auch erfolgreich waren und Wirkung hatten und von denen man noch nie was gehört hat.
00:09:50
Speaker
Und deswegen wollen wir uns eben in dieser Folge besonders auf so eine Beispiele konzentrieren, weil man eben noch nicht so viel gehört hat.
00:09:56
Speaker
Und dafür haben wir auch ausnahmsweise mal einen Gast eingeladen, und zwar Barbara Müller.
00:10:03
Speaker
Sie ist Historikerin im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung.
00:10:07
Speaker
Und sie ist in den 80er Jahren als Studentin der Geschichte dazu gekommen über das Thema des passiven Widerstandes 1923.
00:10:14
Speaker
Und dazu hat sie erklärt,
00:10:17
Speaker
1995 ihre Dissertation geschrieben und beschäftigt sich noch heute damit.
00:10:21
Speaker
Und nächstes Jahr erscheint im Irene Publishing Verlag auch ein ganz aktualisiertes Buch dazu.
00:10:31
Speaker
Und sie ist Geschäftsführerin und Mitbegründerin vom Institut für gewaltfreie Konfliktaustragung und 2020 Stiftung Kraft der Gewaltfreiheit, Power of Nonviolence Foundation.
00:10:41
Speaker
Und wohnt mit ihrem Mann in Hunsrück, was eben auch ein Stationierungsort der Cruise Missiles ist.
00:10:46
Speaker
Und daher eben auch Forschung und Engagement sich oft gegenseitig befluten.
00:10:52
Speaker
Und sie wird uns jetzt ein bisschen was eben zu diesem passiven Widerstand 1923, also zum Ruhekampf erzählen.

Widerstand im Ruhrgebiet

00:11:00
Speaker
Am 11.
00:11:00
Speaker
Januar 1923 besetzten eine 40.000 Mann starke, kriegsmäßig ausgerüstete Armee von französischen und belgischen Soldaten das Ruhrgebiet.
00:11:13
Speaker
Der Hintergrund war, dass Belgien und Frankreich im ersten Lied am meisten unter der deutschen Besetzung und Belagerung gelitten hatten und dort ganze Landstriche verwüstet waren.
00:11:24
Speaker
Das Deutsche Reich musste nach dem verlorenen Krieg als Wiedergutmachung unter anderem Sach- und Geldleistungen bezahlen und ein Rückstand dabei war der Anlass zum Einmarsch, allerdings nicht die Gründe.
00:11:36
Speaker
Die Gründe liegen tiefer, denn der gesamte Friedensvertrag von Versailles war in Deutschland zwar unter dem Druck einer sofortigen Kriegsaufnahme unterschrieben worden, aber niemals akzeptiert.
00:11:47
Speaker
Vor allem die alleinige Schuld am Krieg und die Behandlung als Paria in der Staatengemeinschaft wurde zurückgewiesen.
00:11:54
Speaker
Der Einmarsch 1923 trieb diesen Konflikt auf die Spitze und erstmals reagierte die Weimarer Republik mit klaren eigenen Abwehrmaßnahmen.
00:12:03
Speaker
Dieses Nein, wir machen da nicht mit, seitens der Regierung traf auf einen großen Widerhall in der Bevölkerung.
00:12:10
Speaker
Sie machte daraus eine Kampagne der Nichtzusammenarbeit.
00:12:14
Speaker
Konkret äußerte sich das zunächst in symbolischen Aktionen wie die Rollläden runterlassen und die Straßen leeren beim Einmarsch oder als Bürgermeister den Offizieren nicht vor dem Rathaus die Stadt übergeben, sondern die Offiziere wie alle anderen auch im Sprechzimmer zu empfangen und dort gegen die Gewalt zu protestieren.
00:12:34
Speaker
Die Zechenbetriebe hatten bereits vorher einige Unterlagen weggeschafft, sodass die Besatzer keine Kontrolle über die komplexe Infrastruktur gewinnen konnten.
00:12:43
Speaker
Eisenbahner fuhren keine Züge für die Besatzer, Rheinschiffer streikten, wenn sie Kohlenkähne nach Frankreich umadressieren sollten.
00:12:52
Speaker
Die Besatzung wiederum versuchte, ihre Herrschaft herzustellen, indem sie zum Beispiel Ausweise ausstellen ließ, die die Leute nicht abholten.
00:13:00
Speaker
Oder eine Zolllinie zum unbesetzten Gebiet einrichtete, die entweder ignoriert, umgangen oder umfahren wurde oder per Schmuggel ausgehebelt wurde.
00:13:10
Speaker
Als die Besatzer das Schienennetz selber fahren wollten, hatten sie Probleme, die Loks zu finden oder die Weichen richtigzustellen.
00:13:18
Speaker
Die Besatzer wiederum wandten Zwangsmaßnahmen an und ließen Verweigerer verhaften, verurteilten sie zu Geldstrafen,
00:13:26
Speaker
oder wiesen sie aus dem besetzten Gebiet mitsamt ihren Familien aus.
00:13:30
Speaker
Das betraf insgesamt fast 200.000 Menschen.
00:13:34
Speaker
Auf die Dauer lähmten natürlich die Eingriffe der Besatzer das Wirtschaftsleben, Lieferketten wurden unterbrochen, aber auch die Streiks und die Nichtzusammenarbeit auf deutscher Seite hatten den Effekt, dass das Wirtschaftsleben zuerst durcheinander kam und dann immer mehr erlärmte.
00:13:51
Speaker
Die deutsche Regierung unterstützte dabei die Betriebe durch Lohnzuschüsse,
00:13:56
Speaker
sodass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben gehalten werden konnte.
00:14:01
Speaker
Es kam auch zu gewaltsamen Übergriffen der Besatzungsarmee gegenüber der Zivilbevölkerung, sodass mehr als 100 Tote zu beklagen waren.
00:14:10
Speaker
Auf der deutschen Seite wurde der zivile Widerstand von Sabotageakten begleitet.
00:14:15
Speaker
Solche Anschläge, die auch Tote forderten, gaben den Besatzungsmächten jeweils den Anlass zu einschneidenden Unterdrückungsmaßnahmen.
00:14:24
Speaker
Die wichtigste dabei war im Juli.
00:14:27
Speaker
Dadurch wurde der Verkehr im besetzten Gebiet jetzt wirklich wirksam unterbrochen und zum besetzten Gebiet hin vollständig lahmgelegt.
00:14:35
Speaker
Da die Kosten des Widerstands inzwischen nicht mehr zu tragen waren, wurde der Widerstand Ende September abgebrochen.
00:14:42
Speaker
Inzwischen waren hinter den Kulissen erste diplomatische Initiativen in Gang gekommen, die aber dem Widerstand selbst nichts mehr halfen.
00:14:51
Speaker
Nun neigte sich die Waagschade der Macht jedoch sehr nach Frankreich, das nun seine Bedingungen für die Arbeitsaufnahme im besetzten Gebiet auf der Wirtschaft diktierte.
00:15:02
Speaker
Die Souveränität des Deutschen Reiches im besetzten Gebiet war praktisch ausgesetzt.

Diplomatisches Ende der Ruhrbesetzung

00:15:07
Speaker
Separatistische Aufstände schienen anzudeuten, dass die Einheit der Weimarer Republik angezählt war.
00:15:14
Speaker
Das war der Moment, in dem vor allem die USA entschieden, aber doch im Hintergrund in den Konflikt eingriff und ihre Wirtschaftsmacht ausspielte.
00:15:23
Speaker
Es entstand eine enge diplomatische Zusammenarbeit mit England und den USA, um die Räumung des Ruhrgebiets auf diplomatischem Wege zu erreichen.
00:15:33
Speaker
Das schließlich ist im Sommer 1924 gelungen, sodass Dortmund als erste Stadt schon im Oktober 1924 geräumt wurde und das übrige Ruhrgebiet binnen eines Jahres.
00:15:45
Speaker
Was wir hier also sehen, ist der gelungene dritte Weg mit einer militärischen Besetzung eines Landes umzugehen.
00:15:52
Speaker
Der dritte Weg ist keine Kapitulation, kein Krieg, sondern ziviler Widerstand und kluge Diplomatie.
00:16:01
Speaker
Ja, das ist super spannend.
00:16:03
Speaker
Gerade diese Kampagne der Nichtzusammenarbeit im Bereich Verwaltung finde ich bemerkenswert.
00:16:08
Speaker
Also dass Bürgermeister die Offiziere nur im Sprechzimmer empfangen und so gegen diplomatische Verhaltensweisen verstoßen.
00:16:15
Speaker
Oder, was Barbara meinte, die Unterlagen, die weggeschafft wurden, sodass es keinen Überblick gibt über administrative Strukturen.
00:16:23
Speaker
Also das wird auf jeden Fall nochmal sehr relevant werden für unsere nächste Folge zum Widerstand gegen Rechts, eben die Rolle der Administration.
00:16:30
Speaker
Deswegen vielen Dank, Barbara, für schon diese Einblicke.
00:16:35
Speaker
Ja, und ich finde es einfach echt enorm wichtig, solche Beispiele bekannter zu machen und sich zu überlegen, was wäre eigentlich, wenn solche Beispiele auch in der Schule gelehrt werden würde oder wenn es sogar Ausbildung und Trainings zu zivilen Widerstand, zu zivilen Verteidigungen gäbe.
00:16:51
Speaker
neben vielleicht der militärischen Verteidigung.
00:16:54
Speaker
Aber das ist wirklich, dass die Bevölkerung darin trainiert wird, in massenhafter Nichtkooperation, dass sie eben im Fall einer militärischen Intervention auch ohne Waffen gewaltfrei reagieren kann.
00:17:06
Speaker
Was natürlich auch verschiedene Szenarien haben kann, vielleicht eben auch gefährlich sein kann.
00:17:11
Speaker
Aber es ist jedenfalls ein spannendes Gedankenexperiment.
00:17:14
Speaker
Aber du meintest ja auch davor mit Helgoland zum Beispiel oder auch so, dass es eben interessant ist,
00:17:21
Speaker
an den verschiedenen Orten, die so verknüpft sind eben mit Protest und Widerstand, wo man das irgendwie nicht so auf den ersten Blick sieht und da denkt.
00:17:30
Speaker
Und da muss ich so ein bisschen dran denken, dass wir eben letztens ja auf einer politikwissenschaftlichen Konferenz waren in Göttingen und die fand ja in der Universität da statt.
00:17:39
Speaker
Und da ist ja der Platz auch der Göttinger Sieben, was ja auch sehr stark verbunden ist mit Professorenprotest oder eben Widerstand an der Universität.
00:17:50
Speaker
Ja, auf jeden Fall.
00:17:51
Speaker
Und ich fühle mich so ein bisschen wie bei Geschichten aus der Geschichte.
00:17:55
Speaker
Also das ist auch ein ganz toller Podcast, in den ihr mal reinhören könnt, wo sich zwei Historiker gegenseitig jeweils eine Geschichte erzählen.
00:18:03
Speaker
Und auch ich würde jetzt gerne so eine kleine Reise zurück in der Zeit machen zu den Göttinger Sieben.

Protest der Göttinger Sieben

00:18:10
Speaker
Und genau genommen befinden wir uns im Winter 1837, also schon eine ganz schöne Weile her.
00:18:18
Speaker
Da gab es einen neuen König von Hannover, der hieß Ernst August und der wollte das Staatsgrundgesetz für Erloschen erklären oder hat es als Erloschen erklärt.
00:18:28
Speaker
Und dieses Gesetz hatte seinen Bruder, der Vorgänger König Wilhelm IV.
00:18:33
Speaker
eingeführt, der den bürgerlichen Kräften in Hannover eine für damals ziemlich liberale Verfassung zugestand.
00:18:41
Speaker
Aber dem Ernst August, dem König, missfiel das total und er wollte diese Errungenschaften der Verfassung wieder rückgängig machen.
00:18:50
Speaker
Und er rechtfertigte seine Maßnahmen mit der Behauptung, dass es da Fehler gemacht wurden, also formale Fehler in der Verabschiedung von der Verfassung, also dass seine Zustimmung von Mitgliedern des Herrscherhauses nicht eingeholt worden war, was totaler Quatsch war, weil genau im gleichen Jahr zwei hannoversche
00:19:08
Speaker
Spitzenbeamte den König darüber informiert hatten.
00:19:12
Speaker
Also was sich einfach zeigt dadurch ist, dass er sehr offensichtlich das aus politischen Gründen verhindern wollte, weil er einfach unbegrenzte königliche Herrschaft haben und verwirklichen wollte.
00:19:24
Speaker
Aber das traf auf Widerstand von Professor Friedrich Christoph Dahlmann,
00:19:30
Speaker
der ein Verfassungsexperte war und an dieser ersten Verfassung die mit ausgearbeitet hatte.
00:19:37
Speaker
Und der sah in dieser Entscheidung von dem König eben einen riesigen Rechtsbruch.
00:19:42
Speaker
Er fand schließlich dann sieben Professoren, die
00:19:46
Speaker
sich mit ihm zusammenschließen wollten.
00:19:48
Speaker
Und das, das finde ich sehr interessant, unter den sieben Professoren waren die beiden Gebrüder Grimm, die ja durch ihre Märchenwelt bekannt wurden.
00:19:59
Speaker
Also das finde ich schon krass, dass selbst die Autoren vieler meiner Kindheitsbücher, auch wenn die heute teilweise kritisch gesehen werden müssen, aber dass selbst die Widerstand geleistet haben, das ist so...
00:20:11
Speaker
Das reicht wirklich überall hin.
00:20:13
Speaker
Also die haben sich ja dann zusammengeschlossen und haben einen Brief geschrieben an den König, in dem sie schriftlich darüber berichteten, dass sie das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können und es gegen ihre rechtsstaatlichen Überzeugungen spricht und sie es ihrer persönlichen Ehre als Universitätslehrer schulden weiterhin an dem Staatsgrundgesetz festzuhalten.
00:20:36
Speaker
So erzählt es die Geschichte, wollten sie das zunächst intern halten und gaben es ihren Vorgesetzten für die Behörde, doch der Brief gelangte dann in die Hände von den Studenten, die im Schneeballsystem in der Nacht vom 19. auf den 20.
00:20:51
Speaker
November 1837 Hunderte von Kopien anfertigten.
00:20:56
Speaker
Ich weiß nicht, ob das wirklich so passiert ist, aber es wird halt so erzählt, dass sich dann die Studenten, während sie diese Kopien anfertigten,
00:21:05
Speaker
auch mit Bier aus dem Gasthaus zur Krone.
00:21:09
Speaker
Viel davon tranken und sich immer wieder anfeuerten und auch Parolen riefen wie nieder mit ihm, also in Bezug auf Ernst August.
00:21:17
Speaker
Aber was dann tatsächlich passierte, ist, dass Zeitungsredaktionen in allen deutschen Landen und selbst im Ausland diese Kopien zugesandt bekamen und eben von dem Aufbegehren der Professoren berichteten und diese auch weiter abdruckten die Erklärung.
00:21:32
Speaker
Natürlich wurde in Hannover jede Mitteilung unterdrückt, aber das hat trotzdem nichts daran geändert, dass es eine öffentliche große Protestation der Professoren wurde.
00:21:44
Speaker
Und jetzt kommen wir wieder zu einem spannenden Punkt, wo ich auch viele Parallelen zum aktuellen Umgang mit Protestierenden sehe, weil heutzutage ja auch oft in Debatten um Protest gesagt wird, Widerstand ist kriminell, er ist radikal oder gar extremistisch und Menschen in der Vergangenheit haben ja viel besser und auf legalere Weise demonstriert.
00:22:05
Speaker
Aber das stimmt überhaupt nicht so, weil die Göttinger Sieben sind ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Protest im Nachhinein erst glorifiziert wird.
00:22:14
Speaker
Also sie haben ja jetzt auch so ein großes Denkmal in Hannover und wie gesagt, die Uni, wo wir waren, hat ja auch ganz viele Bezüge dazu.
00:22:22
Speaker
Aber zu der Zeit wurden sie eben auch sehr doll versucht, klein zu halten.
00:22:27
Speaker
Und deswegen finde ich es einfach wahnsinnig wichtig, wenn jetzt die Bild wieder so...
00:22:32
Speaker
Titel druckt mit Protestierenden sind Terroristen oder die neue RAF, dass Menschen endlich mal anfangen, das zu hinterfragen.
00:22:40
Speaker
Ja, weil es ist ja auch ganz klar, was das für eine Taktik oder Strategie ist, dass eben...
00:22:45
Speaker
zu delegitimieren, zu defamieren, damit sie eben auch nicht so viel Rückhalt in der Gesellschaft haben, in der Bevölkerung, damit eben dann auch vielleicht sie keinen Zuwachs bekommen, die verschiedenen Bewegungen.
00:22:55
Speaker
Aber ich finde es auch immer wieder erstaunlich zu sehen, wie das Narrativ war, während die Dinge passiert sind.
00:23:01
Speaker
In so vielen verschiedenen Fällen ist das ja so und wie es dann eben im Laufe der Zeit der Geschichte über die Jahrzehnte sich dann verändert und dann eben oft so heroisiert, glorifiziert oder so sehr positiv dann dargestellt wird.
00:23:14
Speaker
Ja, voll, weil also die Göttinger Sieben waren damals nicht diese glorreichen Göttinger Sieben, sondern der König nannte sie Federvieh der Tintenglechse.
00:23:23
Speaker
Und der hat auch, also finde ich auch schön, deswegen bin ich auch ein bisschen witzig.
00:23:29
Speaker
Aber seine Strafen haben mit voller Herde schon eingeschlagen, weil Anfang Dezember des Jahres 1837 wurden dann die Professoren vor dem Universitätsgericht vernommen und aus ihrem Amt entlassen, da sie, das war die Begründung, durch Gehorsamsverweigerung ihr eigenes Dienstende herbeigeführt hätten.
00:23:52
Speaker
Und der König hat dann sogar drei von ihnen des Landes verwiesen.
00:23:56
Speaker
Darunter war auch Jakob Grimm, also einer der Brüder.
00:24:00
Speaker
Und selbst die Unterstützung von den Studenten wurde dann versucht zu unterbinden, was wirklich, also ja,
00:24:07
Speaker
Das ist lächerlich, was da passiert ist.
00:24:08
Speaker
Und zwar sollten die Professoren über einen abgelegenen kursischen Grenzort Witzenhausen ausreisen, damit sichergestellt wird, dass die Studenten sich nicht nochmal verabschieden können.
00:24:19
Speaker
Weil die hatten so einen großen Fackelzug geplant, aber alle öffentlichen Ansammlungen wurden verboten.
00:24:26
Speaker
Und die Behörden verstärkten dann außerdem die Polizeipräsenz und zogen vor der Stadt fast 800 Soldaten zusammen.
00:24:33
Speaker
Also es muss man sich ja vorstellen, dass dann Lohnkutscher schwere Strafen bekommen hätten, wenn sie ihre Wagen und Pferde an Studenten verleihen.
00:24:42
Speaker
Was dann dazu geführt hat, dass die Studenten sich aber nicht aufhalten lassen wollten und so am gleichen Abend dann noch, also 400 Studenten am gleichen Abend noch an dieser kalten Winternacht 25 Kilometer nach Witzenhausen gelaufen sind, um sich von den Professoren zu verabschieden.
00:24:59
Speaker
Und auch die Unterstützung von denen generell im Nachhinein sehr essentiell war, weil manche der sieben Professoren jahrelang noch nach einer neuen Stellung suchen mussten.
00:25:10
Speaker
Und zum Glück hatten sich Bürger überall in deutschen Städten zu sogenannten Göttinger Vereinen zusammengeschlossen, um eben Geldspenden zusammenzubringen, um diesen Professoren weiterhin ein Einkommen bezahlen zu können.
00:25:24
Speaker
Ja, also ganz verrückte Geschichte, finde ich.
00:25:28
Speaker
Und insgesamt ist es jetzt so, dass man sagen kann, der Protest hat jetzt nicht direkt was bewirkt, also klar lokal, aber der erhoffte Aufstand gegen diesen Staatsstreich vom König blieb erstmal aus.
00:25:41
Speaker
Und die Professoren haben jetzt auch direkt keine politischen Forderungen irgendwie gestellt, sondern lediglich erklärt, dass sie sich an den Eid auf die Verfassung gebunden fühlen.
00:25:51
Speaker
Aber ich finde trotzdem, dass die Tatsache, dass den sieben Professoren der Verfassungseid so wichtig war, dass sie diese ganzen persönlichen Nachteile in Kauf genommen haben, übte alleine großen Einfluss damals aus und griff auch diese politische Stimmung, die eh schon im Land war, auf und trug dazu bei, den Liberalismus in Deutschland weiter voranzutreiben, der ja dann wiederum Voraussetzung war für die Märzrevolution von 1848.
00:26:19
Speaker
Und ja, es ist jetzt leider ein Beispiel, was sich sehr auf Männer konzentriert, aber ich finde es trotzdem sehr mutig, dass die sieben Professoren da ihre demokratische Haltung beibehielten und ja irgendwo auch dazu beitrugen, den Grundstein für unsere heutige Verfassung zu legen.
00:26:35
Speaker
Ja, das ist auf jeden Fall sehr, sehr mutig und kann definitiv auch Inspiration für unsere heutigen Zeiten sein, was man so für die eigenen Werte und Ideale alles in Kauf nehmen kann auch.
00:26:47
Speaker
Ja, dafür habe ich ein Beispiel, was sich auf Frauen fokussiert mitgebracht, inspiriert durch deine Perspektive, da immer wieder auch gesondert oder bewusster irgendwie auch drauf zu gucken.

Frauenbewegung gegen Abtreibungsgesetze

00:26:58
Speaker
Und zwar war das...
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Speaker
1971 gegen den Paragrafen 218, also der eben Abtreibungen kriminalisiert, also Schwangerschaftsabbrüche als Straftat sieht.
00:27:11
Speaker
Und dieser Paragraf, muss man auch sagen, kommt auch eben da aus dem Kaiserreich und ist auch noch von Kirchenrecht beeinflusst, also ganz altbacken.
00:27:20
Speaker
Und da gab es eben im Juni 71 im Stern mit diesem Cover-Titel mit ganz vielen Fotos von Frauen drauf und dann »Wir haben abgetrieben«
00:27:30
Speaker
war eben eine Kampagne, wo sich Frauen und zwar über 374 Frauen selbst bezichtigt haben, dass sie eben also öffentlich bekannt haben, dass sie diese Straftat quasi begangen haben.
00:27:41
Speaker
Und unter anderem auch Prominente wie Romy Schneider oder Sinterberger.
00:27:45
Speaker
Und in den Folgemonaten kam es dann wirklich zu Tausenden, also über 2300 weiteren Selbstanzeigen von Frauen und über 86.000 Solidaritätsbekundungen mit den Frauen, die eben öffentlich sich ausgesprochen hatten.
00:28:01
Speaker
Und das hat richtig so einen Schwung gebracht in die Frauenbewegung in Deutschland in den 70er Jahren und tatsächlich dann auch schon
00:28:08
Speaker
Im September des gleichen Jahres gab es dann direkt schon Reformen, Diskussionen, was man daran ändern kann.
00:28:14
Speaker
Heutzutage ist der ja ein bisschen abgemildert in dem Sinne, dass dann geguckt wird auf die Zeit der Schwangerschaft, also das erste Quartal oder eben dann die verschiedenen Gründe, die es gibt für den Schwangerschaftsabbruch.
00:28:30
Speaker
Aber damals war das natürlich, also wenn Frauen sich dann öffentlich selbst angezeigt haben, gab es dann natürlich auch Hausdurchsuchungen, die eben einschüchtern sollten, was sie aber nicht geschafft haben, sondern tatsächlich hat es eher noch die Frauenbewegung da verstärkt.
00:28:44
Speaker
Was ja ein bisschen, da hatten wir glaube ich auch schon mal drüber geredet, dieses politische Jiu-Jitsu, das eben versucht wird, mit Kraft die Bewegung zu unterdrücken, aber diese Kraft kann eben dann gegen einen verwendet werden.
00:28:59
Speaker
Und eben die Bewegung dann noch stärker machen, weil dann eben in der Öffentlichkeit gesehen wird, dass das ja ungerecht ist und nicht in Ordnung ist und so weiter.

Wiederkehrende Protestmuster

00:29:08
Speaker
Ja, also es ist doch echt interessant zu sehen, dass die Proteste dann doch ähnliche Dynamiken immer wieder alle haben.
00:29:16
Speaker
Und ja, diese Unterdrückung und auch diese ganzen Mechanismen, dass die sich wiederholen und so wiederfinden und wie viele mutige Beispiele es einfach gibt und
00:29:26
Speaker
Das waren ja jetzt noch nicht mal alle.
00:29:28
Speaker
Also wir können ja noch so lange weiter erzählen.
00:29:31
Speaker
Wir haben ja noch nicht mal über den Volkszählungsboykott gesprochen in den 80ern, der der Vorläufer für unser heutiges Datenschutzgesetz ist und so viele kreative Protestformen vereint hat.
00:29:44
Speaker
Stuttgart 21, Startbahn West, den spektakulären Einsatz von Carola-Rakete für Geflüchtete und natürlich die ganze Bewegung heutzutage.
00:29:52
Speaker
Also sagt uns da auch gern mal, ob das für euch interessant ist, wenn wir da weiter drüber reden und tatsächlich auch vielleicht Zeitzeuginnen einladen, also Menschen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung oder aus dem Volksstädungs-Workhaut, die das mit organisiert haben oder die Wende und uns so ein paar Einblicke geben können.
00:30:10
Speaker
Gebt uns da doch gern mal Rückmeldung.
00:30:13
Speaker
Ich finde es auch total spannend, mich eben mit Menschen zu unterhalten, die zum Beispiel die Anti-Atomkraft-Bewegung mitgestaltet haben und zu gucken, was können wir heute davon lernen, auch zum Beispiel eben in der Klimabewegung oder die damalige Friedensbewegung, aber vielleicht eben auch aus Rückschlägen, also jetzt nicht unbedingt nur aus den Erfolgen, sondern auch aus, was da nicht so gut gelaufen ist.
00:30:33
Speaker
Also das stelle ich mir schon spannend vor, da ein paar Gäste einzuladen.
00:30:36
Speaker
Ja, ich hätte auch richtig Lust.
00:30:40
Speaker
Ja, aber ich finde, dass alle Beispiele, die wir jetzt auch heute besprochen haben, mal wieder zeigen, dass friedlicher ziviler Widerstand ein effektives, legitimes Mittel ist, mit dem Bürgerinnen politisch etwas verändern können und dass er ebenso ein wichtiger Bestandteil der Demokratie ist.
00:30:57
Speaker
Und zwar trotz dieser hohen Repressionen und persönlichen Risiken, in die sich die Menschen begeben haben in unseren Beispielen, wurden sich ja immer wieder für demokratische Rechte eingesetzt, die von der Regierung selbst gebrochen wurden.
00:31:11
Speaker
Also auch eine Dynamik, die wir heutzutage wie zum Beispiel in Sachen Klima immer wieder sehen.
00:31:17
Speaker
Und für mich zeigt das einfach, dass das ein totaler Luxus ist, wenn man mal gerade nicht protestieren muss, weil
00:31:24
Speaker
Genau, es ja immer darum ging bei diesen Protesten, Verfassung zu stärken, Rechte zu erkämpfen und das alles, bevor sie dann tatsächlich in Parlamenten und Gerichtssälen verankert wurden.
00:31:36
Speaker
Und ich finde, beide Beispiele sind leider auch irgendwie heute aktuell in dem Sinne, dass natürlich immer wieder auch schon erkämpftes Recht dann rückgängig gemacht werden kann, wie eben, dass mal eine Verfassung dann wieder vielleicht abgeschafft wird oder eben das schon erkämpfte körperliche Selbstbestimmung und Recht auf Schwangerschaftsabbruch dann auch wieder rückgängig gemacht wird und so.
00:31:59
Speaker
Und dass das alles fragil ist und eben nicht selbstverständlich, sondern dass man sich dafür einsetzen muss und dafür kämpfen muss, damit es dann am Ende, genau wie du sagst, in die Gesetze fließen kann und im Parlament diskutiert werden kann.
00:32:13
Speaker
Aber ja, das scheint immer wieder auch so eine Hin- und Herbewegung zu sein.
00:32:16
Speaker
Und genau, es ist wichtig, dann eben aus den alten Beispielen auch nochmal sich die anzugucken und zu schauen, was nehmen wir für heute davon mit.
00:32:24
Speaker
Ja, das ist die perfekte Überleitung für mein Zitat.
00:32:27
Speaker
Das hast du richtig gut gesagt.
00:32:30
Speaker
Weil ich habe heute ein Abschlusszitat von tatsächlich noch einem weiteren Beispiel der deutschen Widerstandsgeschichte von Willy Brandt, einem ehemaligen deutschen Bundeskanzler, der selbst auch schon mal zum Widerstand aufrief.
00:32:44
Speaker
Und zwar 1961 gemeinsam mit
00:32:48
Speaker
dem Deutschen Gewerkschaftsbund, hat er einen S-Bahn-Boykott gegen den Bau der Berliner Mauer gestartet.

Willy Brandt und der Mauerboykott

00:32:55
Speaker
Und er hat vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin eine Rede gehalten und genau das auf den Punkt gebracht, was die Proteste in dieser Folge ja auch immer wieder gezeigt haben und was du gerade gesagt hast, nämlich wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen gerade erst richtig an.
00:33:14
Speaker
Und zu seinem Zitat würde ich noch ergänzen, das, was du auch meintest, das gilt es auch immer wieder zu verteidigen.
00:33:20
Speaker
Ja, voll.
00:33:25
Speaker
Vielen, vielen Dank dafür.
00:33:28
Speaker
Und wer sich vielleicht weiter über deutsche und internationale Beispiele informieren möchte aus heutiger Zeit, aber auch eben retrospektiv in der Geschichte, der kann sich sehr gerne die deutsche und internationale Nachrichtenseite zum zivilen Widerstand angucken.
00:33:45
Speaker
Einmal gewaltfreie Aktionen und Waging Nonviolence.
00:33:49
Speaker
Die Links kommen natürlich wie immer in die Shownotes.
00:33:52
Speaker
Und das ist, finde ich, sehr spannend, weil es zum Teil eben auch Mut macht, zu sehen, was Menschen überall auf der Welt alles so geschafft haben und schaffen, aber auch eben analysiert, wie und eben auch mit diesen Konzepten, die wir hier auch besprechen, arbeitet, um sich Protestdynamiken und aber auch eben so politische Geschehen anzugucken.
00:34:12
Speaker
Aber anders als in den herkömmlichen Medien wird es eben aus der Perspektive der Bewegung, wie sie eben Politik betrachten,
00:34:19
Speaker
und Gesellschaft beeinflusst, gesehen und betrachtet.
00:34:23
Speaker
Ich finde es immer wieder spannend, da reinzugucken und mir auch Inspiration zu holen, wenn es gerade mal wieder eben schlechte Nachrichten gibt, wie man dann jetzt damit umgehen kann und wie es weitergehen kann, um eben auch zu gucken, wie wurde in anderen Bewegungen mit ähnlichen Problemen umgegangen.
00:34:37
Speaker
Ja, und man kann auch, wenn man selber mal ein tolles Widerstandsbuch gelesen hat oder so, auch Rezensionen schreiben für gewaltfreie Aktionen, soweit ich das weiß, richtig?
00:34:45
Speaker
Weil das versuche ich ja auch gerade.
00:34:49
Speaker
Ja, gerne.
00:34:50
Speaker
Also genau, ihr könnt gerne, wenn ihr was Spannendes gelesen habt, da so eine Buchbesprechung machen in euren eigenen Worten.
00:34:56
Speaker
Ja, und wir haben auch noch große Neuigkeiten.
00:35:01
Speaker
Und zwar wollen wir nächstes Jahr eine zweite Staffel machen.

Zweite Staffel und Fundraising

00:35:06
Speaker
Wir haben so viel positives Feedback von euch bekommen in letzter Zeit und wir haben noch so viele Themen in petto.
00:35:12
Speaker
Also das, was wir auch vorhin schon überlegt hatten, ob wir Zeitzeuginnen einladen sollen.
00:35:17
Speaker
Es gibt noch so viele Theorien und
00:35:20
Speaker
Beispiele zu besprechen aus dem Widerstand, dass uns auf jeden Fall die Inhalte nicht ausgehen und es ist natürlich ja unser großer Wunsch auch, das Thema weiter in die Allgemeinheit zu tragen.
00:35:30
Speaker
Also diese Folge unterstreicht es ja total, wie wichtig das Thema Widerstand in Demokratien ist und Menschen auch zu ermutigen,
00:35:40
Speaker
Gerade in so düsteren Zeiten, wie wir sie gerade mit den aktuellen Wahlergebnissen haben, dass wir immer wieder aufzeigen, was sind Optionen, wie man ins Handeln kommen kann, um eben nicht in dieser Schockstarre zu verharren.
00:35:52
Speaker
Ja, aber leider trägt sich der Podcast nicht alleine.
00:35:55
Speaker
Also wir haben Kosten vor allen Dingen für den Schnitt, aber auch für die Technik und wir brauchen da deine Unterstützung.
00:36:02
Speaker
Wir sind zwar fleißig auch am Anträge schreiben für Stiftungen, die unsere Themen weiter voranbringen wollen, aber die haben wir halt noch nicht sicher.
00:36:11
Speaker
Und deswegen haben wir jetzt einen Spendenaufruf gestartet über GoFundMe.
00:36:16
Speaker
Das ist eine Plattform, wo man eben Spenden für solche Projekte sammeln kann.
00:36:22
Speaker
Und den Spenden-Link findet ihr in der Beschreibung der Folge.
00:36:26
Speaker
Und es wäre richtig, richtig toll, wenn ihr uns unterstützen könnt, damit der Podcast weitergehen kann.
00:36:32
Speaker
Egal in welcher Höhe, wir freuen uns total über eure Unterstützung.
00:36:38
Speaker
Ja, das wäre echt richtig, richtig cool.
00:36:38
Speaker
Vielen, vielen Dank.
00:36:41
Speaker
Und ein großes Dankeschön natürlich auch an die Stiftung Kraft der Gewaltfreiheit, die eben jetzt diese Staffel ermöglicht hat.
00:36:49
Speaker
Und natürlich auch vielen Dank an unseren Partner für die Postproduktion, das Kreativstudio für Wissenschaftskommunikation zum Staunen und Emi van Balen für die tolle Social-Media-Arbeit.
00:37:04
Speaker
Und in der nächsten Folge, was ja dann auch quasi Staffelfinale ist, die letzte Folge dieser Staffel, geht es dann darum, wie wir all das Gelernte und Gehörte vielleicht anwenden können, um zu gucken, wie gehen wir jetzt mit dem aktuellen Rechtsruck um.
00:37:20
Speaker
Das war's diesmal von unserer Seite.
00:37:23
Speaker
Schön, dass ihr zugehört habt.
00:37:25
Speaker
Mach's gut, bis zum nächsten Mal.
00:37:28
Speaker
Wir hören uns, bleibt dran.
00:37:30
Speaker
Tschüss.
00:37:31
Speaker
Tschüss.
00:37:34
Speaker
This fight is one that you can win.