Einführung und Rückblick auf frühere Themen
00:00:08
Speaker
Herzlich willkommen zur vierten Episode unserer Info-Reihe über ALS. In den vorherigen Episoden haben wir bereits über das Krankheitsbild der ALS gesprochen sowie psychische Herausforderungen einer ALS thematisiert. Und wir sind auf Aspekte wie die Patientenverfügung eingegangen, die bei so einer Erkrankung leider auch irgendwann zu einem Thema werden.
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Speaker
Die ALS bringt alles durcheinander. Sie stellt die Erkrankten sowie die Angehörigen und Freunde vor unterschiedlichste Herausforderungen. Dem dann noch irgendwie herzuwerden und das bei konstantem Verlust von Fähigkeiten des oder der Erkrankten ist eine anstrengende und schwere Aufgabe.
Dienstleistungen der ALS-Ambulanz Bonn
00:00:43
Speaker
Um den Erkrankten und Angehörigen dabei eine Anlaufstelle zu bieten und Hilfestellung zu geben, hat die ALS-Ambulanz in Bonn mit Hilfe einer Spende von dem Verein Alle Lieben Schmidt e.V. von Bruno Schmidt eine Sozialberatung gegründet.
00:00:55
Speaker
Was das ist und wie diese Sozialberatung helfen kann, wird uns gleich Andrea Gaspar erzählen. Sie leitet die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung am Helios Klinikum Bonn und ist einmal in der Woche in der ALS Ambulenz der Uniklinik in der Pflege- und Sozialberatung tätig. Frau Gaspar, vielen Dank, dass Sie hier sind. Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben. Ich fange mal bei den Betroffenen an. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie bei einer ALS Erkrankung?
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Speaker
Ein Patient hat mal zu mir gesagt, ALS stellt dein Leben auf den Kopf. Das ist etwas, was ich immer wieder feststelle, dass das zutreffend ist. Ich glaube, im ersten Schritt
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Speaker
ist die größte Herausforderung für Patienten und Angehörige, in irgendeiner Form einen Umgang mit dieser Diagnose zu finden. Also mit dieser schwerwiegenden Diagnose und dieser Auseinandersetzung damit, dass das Leben jetzt ganz anders ist. Das ist so die allererste Herausforderung und die dauert halt sehr unterschiedlich lang bei Menschen.
Herausforderungen und Anpassungen für ALS-Patienten
00:02:02
Speaker
Und wenn man dann in irgendeiner Form einen Zugang dazu gefunden hat, ist das Schwierige bei der ALS, dass es dann auch schon direkt darum geht, sich an diese veränderten Lebenssituationen anpassen zu müssen. Also es ist ja nicht eine Diagnose, die dann Bestand hat und so bleibt, sondern das, was durch die ALS passiert, dieses Voranschreiten bedeutet.
00:02:26
Speaker
Patienten und Angehörige müssen sich kontinuierlich anpassen an veränderte Lebenssituationen. Also die Lebensführung, so wie ich mein Leben bisher gestaltet habe, der Lebensraum, so wie ich bisher gelebt habe oder auch die Lebensplanung, also das, was ich mir noch im Leben vorgenommen habe, was ich an Erwartung an das Leben habe,
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Speaker
Das ist alles verändert durch diese fortschreitende Erkrankung, die ja mit Lähmungen einhergeht und die Hilfsbedürftigkeit extrem zunimmt. Und das sind einfach Herausforderungen, vor die Patienten und Angehörige gestellt werden. Sehr unterschiedlich zu welchem Zeitpunkt, aber häufig schon direkt mit Diagnose.
00:03:11
Speaker
Der gesundheitliche Aspekt ist wahrscheinlich immer der, der zuerst ins Auge springt. Was sind dann die Probleme, die als nächstes in welcher Reihenfolge auf die Personen, die erkrankt sind, zukommen?
Rolle der sozialen Beratung für ALS-Patienten
00:03:24
Speaker
Also das ist so etwas, was ganz häufig gefragt wird. Worauf muss ich mich denn jetzt einstellen? Also das ist einmal, wie schreitet die Krankheit voran? Letztendlich körperlich, also auch dann medizinisch und gesundheitlich. Aber dann, was hat das für Auswirkungen auf mein Leben? Also was macht das zum Beispiel im Leben zu Hause, in meiner Rolle vielleicht, die ich als Mutter oder
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Speaker
als Ehefrau habe oder als Partner, der berufstätig ist und merkt, er schafft diese Berufstätigkeit nicht mehr. Dann kommen die Aspekte von finanziellen Einschränkungen hinzu, von Anpassungen des Wohnraum-Umbaus oder aber auch letztendlich, können wir in dieser Wohnung bleiben? Müssen wir aus diesem Haus ausziehen? Wie kann man das alles anpassen?
00:04:12
Speaker
bis hin zu wie wird das mit mir am Ende sein. Also viele spannen den Bogen einmal sehr weit und dann geht es eigentlich darum zu gucken, wie können wir jetzt in so einen Prozess kommen, dass es Schritt für Schritt in irgendeiner Form möglich ist, mit dieser Erkrankung zu leben. Und was ist der Punkt der Sozialberatung? Wie kann die den Erkrankten helfen?
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Speaker
In der Situation der Sozialberatung ist es mir wichtig, dass ich als Ansprechpartner da bin, dass die Menschen wissen, in der Ambulanz gibt es jemand, wenn ich Fragen oder Anliegen habe, kann ich mich an den Wänden. In den Bereichen Pflege und soziale Leistungen.
00:04:52
Speaker
Das ist der erste wesentliche Aspekt, den wir abdecken können. Darüber bin ich dann halt einmal in der Woche in der Ambulanz persönlich da. Aber auch über E-Mail und Telefonkontakte kann man vieles dazwischen leisten. Und dann geht es darum, Patienten und Angehörige je nachdem, wo sie sind, zu informieren und auch zu beraten. Und das dann ganz konkret zu deren Anliegen, die sie situativ haben.
00:05:20
Speaker
Also, welche Leistungen kann ich in Anspruch nehmen? Was steht mir zu? Wie komme ich da hin? Bis hin zu, wie können wir, wenn wir ein bisschen in die Zukunft gucken, vielleicht schon vorausschauen, planen oder beantragen, dass wir nicht in eine Situation kommen, wo wir uns unversorgt fühlen.
Navigieren im deutschen Pflege- und Unterstützungssystem
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Speaker
Können Sie mal ein ganz konkretes Beispiel nennen?
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Speaker
Also ein konkretes Beispiel war jetzt eben in der Ambulanz, dass ein Mann, der Mitte 60 ist, mit seiner Frau da war und er letztendlich auch einen Beruf hat noch oder ein Ehrenamt ausübt, dass er Ortsvorsteher ist und dass er sehr stark durch eine bulbere Verlaufsform in der Sprache beeinträchtigt ist. Und dass es jetzt darum geht,
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Speaker
Das belastet ihn. Er zieht sich immer mehr sozial zurück. Er möchte eigentlich nicht mehr an diesen Sitzungen teilnehmen. Er wollte sein Amt ablegen. Man hat ihm nahegelegt, bleib doch. Du bist doch noch denkender Mitbürger. Du bist wertvoll. Aber diese Sprachbarriere macht es extrem schwierig, halt dieses Amt zu leben und auch vor allen Dingen in der Form, wie er es gerne leben möchte. Seine Frau leidet auch darunter durch diesen sozialen Rückzug. Und da geht es jetzt darum zu gucken, also was ist diesem Paar wichtig?
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Speaker
Sie wollen sozial integriert bleiben. Also, welche Möglichkeiten Unterstützung gibt es? Hilfsmittelverordnung zum Beispiel über eine Sprachassistenz, die ist ja möglich. Und was kann diese Sprachassistenz für mich leisten? Wie groß ist die? Wie stelle ich mir das vor? Wie komme ich dahin? Wie wird die finanziert? Muss ich das selber zahlen? Das ist ein Aspekt.
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Speaker
Der zweite Aspekt war, dass die Frau sagt, ich bin auch schon eingeschränkt, ich habe eine Arthrose in den Fingern, ich kann auch nicht mehr alles zu Hause machen und wir haben im Grunde noch nicht darüber nachgedeckt, in irgendeiner Form Unterstützung über die Pflegekasse zu bekommen.
00:07:19
Speaker
Dann der Aspekt, wie läuft das mit dem Antrag auf Einstufung in ein Pflegegrad? Was habe ich da zu erwarten? Das ist ja auch in Deutschland wirklich kompliziert geworden. Es ist ja alles im Grunde differenziert zwischen Haushaltsführung, Pflegeleistung. Es gibt wirklich viele Angebote, Unterstützungsangebote. Die Schwierigkeit ist nur, wie komme ich an diese Informationen und wie werden sie mir zuteil?
00:07:46
Speaker
Und viele Patienten und Angehörige haben die Vorstellung, dass man es an sie heranträgt. Das heißt, mit einer Diagnose, sie sind erkrankt, kommt jemand und sagt mir, was ich alles bekommen kann und wo es das alles gibt. Und das gibt es in dieser Form so nicht.
00:08:02
Speaker
Sie müssen alle Türen aufmachen. Da gibt es viele, aber sie wissen nicht, was sich dahinter verbirgt. Und ein wesentlicher Aspekt ist zu gucken, dass Menschen möglichst die richtigen Türen aufmachen, wo dann auch das sich dahinter verbindet, was für sie hilfreich ist. Ganz häufig höre ich, dass extrem belastend ist, dass es viel gibt.
00:08:24
Speaker
Aber dass das zu unspezifisch ist und dass man viel Energie in diese Prozesse hineingibt und am Ende merkt, das ist aber nicht das, was ich eigentlich wollte. Und jetzt gut innezuhalten am Anfang und genau zu fragen und mit den Menschen im Gespräch zu sein, was erwarten sie sich? Was ist für sie und ihre Lebenssituation wichtig? Was ist ihr Bedürfnis? Und davon ausgehend versuche ich dann, die Beratung zu machen und die entsprechenden Hilfen zu organisieren.
Strategien und Wichtigkeit von Versicherungsberatern
00:08:54
Speaker
Sie sagten gerade, die Unterlagen werden nicht an einen herangetragen. Können Sie mal exemplarisch ein paar nennen, in welche Richtung das geht, welche Hilfemöglichkeiten es gibt?
00:09:04
Speaker
Also es gibt zum Beispiel aus dem Bereich der Sozialleistungen halt SGB V, Sozialgesetzbuch V, da ist im Grunde die Behandlungspflege oder die Hilfsmittelversorgung drüber laufend. Dann gibt es aus dem SGB XI, Sozialgesetzbuch XI, die Pflegeleistungen aus den Pflegegraden, die man beziehen kann. Darüber hat man ja entweder das Pflegegeld oder aber auch die Hilfen, die zu Hause kommen, hauswirtschaftliche oder pflegerische Unterstützung.
00:09:32
Speaker
Darüber laufen auch die kompletten Hilfsmittel von Toilettensitzerhöhung über Rollator bis hin zu Rollstuhl. Viele Patienten haben auch wirklich das Gefühl, sie müssen das selber zahlen. Die sagen, welche Kosten kommen denn da auf mich zu? Die sind dann entlastet, wenn ich sage, nein, das ist eine Leistung der Krankenkasse.
00:09:50
Speaker
Nur man muss für alles erstmal eine medizinische Begründung in Form eines Rezeptes haben, dann muss man einen guten Reha- oder Sanitätsanbieter haben, der sich mit dem Krankheitsbild auskennt, der einen gut berät und dann muss im Grunde einen Kostenvorenschlag erstellt werden, der an die Krankenkasse geht und diese Krankenkasse prüft dann und
00:10:13
Speaker
Letztendlich entscheidet die über die Kostenübernahme. Das sind mehrere Schritte, die da erfolgen müssen. Und das ist zum Beispiel auch was ganz Wesentliches, was ich versuche, je nachdem wie die Menschen aufgestellt sind, ihnen zu vermitteln, damit sie das System verstehen. Dadurch passieren halt weniger Fehler, dass sie nicht in ein Sanitätshaus gehen können und sagen,
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Speaker
diesen roten Toilettenstuhl hätte ich gerne, weil der gut in meine Wohneinrichtung passt, dann sagt das die Krankenkasse, sie haben Anspruch auf einen Toilettenstuhl, aber nicht auf den roten. Und dann hat man direkt von vornherein falsch angefangen und schon läuft dieser Prozess dieser Widersprüche und dieser Belastungen mit zum Beispiel Anbietern und
00:10:57
Speaker
Zu wissen, wie es am besten oder wie der normale Weg ist, ist für viele Patienten schon hilfreich. Dann gibt es komplett diesen Bereich halt zum Beispiel aus dem Pflegezeitgesetz, dass es ja auch Entlastungsleistungen für Angehörige gibt im Rahmen von bezahlter Pflegezeit. Dann gibt es diesen Bereich aus dem Bereich der Schwerbehinderung. Also was für Erleichterungen habe ich dadurch, dass ich ein Grad der Behinderung bekomme.
00:11:27
Speaker
bis hin zu letztendlich Ansprüchen, die wir haben im Bereich der Palliativversorgung. Das sind ja auch Sachen, die neben dem Pflegegeld eine Leistung der Krankenkasse sind, hospizliche Versorgung. Also da gibt es eine Menge an Möglichkeiten und Angeboten.
00:11:45
Speaker
Das heißt aber, sie helfen zum einen bei der Antragsstellung, aber klären dann, so wie ich es verstehe, die Leute, die erkranken die Angehörigen mehr sogar auf, was es überhaupt gibt. Das heißt, das Wissen, was es gibt, ist gar nicht vorhanden.
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Speaker
Das Wissen, was es gibt, ist ganz häufig nicht vorhanden. Ich war heute gerade eben bei einem Mann, der Ende 50 ist, der jetzt die Diagnose in
Unterstützung für ALS-Patienten außerhalb Bonns
00:12:09
Speaker
Verdachtsform heute geäußert bekommen hat und der sagt, ich habe mich noch nie mit diesem System beschäftigt. Also was es da jetzt alles gibt und was da alles auf mich zukommt, weiß ich nicht. Und es ist auch so, dass es Patienten und Angehörige gibt, die
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Speaker
die das auch gar nicht alles in dem Sinne erfassen können. Also es ist immer ein bisschen die Kunst herauszubekommen, was der Gegenüber benötigt. Ist es nur die Information und vielleicht sogar weitreichende Beratung, dass die sehr stark selbstständig sind. Viele Menschen haben sehr hohe Selbsthilfekompetenzen, die sie nutzen können und die möchten auch gerne.
00:12:46
Speaker
aktiv in diesem Prozess eingebunden sein. Andere sagen, ich bin einfach mit der Situation so überfordert, so überheult, dass sie dann mehr Hilfestellung brauchen, in dem Sinne, dass ich das dann versuche zu beantragen oder überzuleiten. Da sind natürlich irgendwann auch unsere Ressourcen begrenzt. Wenn ich einen Tag in der Woche in der Ambulanz bin und wir haben 300 Patienten, dann kann man sich vorstellen, dass ich das nicht für alle tun kann.
00:13:14
Speaker
Es ist von Information über Beratungen bis letztendlich Organisation von konkreten Hilfen. Ja, das wäre jetzt auch meine Frage. Was können denn Patienten, Erkrankte und Angehörige tun, die nicht jetzt den Luxus haben, wie hier in Bonn durch eine private Spende so eine Sozialberatung zu haben? An wen können die sich wenden?
00:13:35
Speaker
Das ist ganz häufig die Frage, wen gibt es denn? Also es gibt sicherlich immer eine hohe Expertise an diesen Schwerpunktambulanzen. Ob das nun Bondes oder wo auch immer sie in Deutschland sind, da gibt es ja doch schon mehrere. Die kann man ja auf dieser Karte von diesem Muttonorondesis.net sehen. Also das wäre so, dass ich immer raten würde, wenn sie sich dahin und gucken sie, was die für Möglichkeiten haben.
00:14:01
Speaker
Dann ist etwas, was viele überhaupt nicht wissen, ist, dass die Kasse einen gesetzlichen Auftrag zur Pflegeberatung hat. Das heißt, es gibt bei den Kassen halt Pflegeberater und Beraterinnen, die Patienten zu Hause unterstützen sollen in diesen ganzen Auswahl an Hilfsmöglichkeiten. Und die kann man aktiv anfragen. Also das ist der zweite Punkt, wo ich sage, wenn Sie sich an Ihre Kasse
00:14:26
Speaker
Lassen Sie die Pflegeberatung kommen. Bei den privaten Pflegekassen ist das Kompass letztendlich eine Vereinigung der privaten Pflegekassen. Und dann haben die Menschen ein Gesicht bei der Krankenkasse, an die sie sich wenden können, die vieles möglich macht. Und ansonsten ist der erste Ansprechpartner häufig immer noch der Hausarzt. Und der Hausarzt, da erleben wir halt auch, dass der Hausarzt
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Speaker
ganz häufig auch ambitioniert ist und sagt, ich möchte jetzt gerne auch unterstützen, nur ich habe in den ganzen Jahren vielleicht einmal einen Patienten mit ALS gehabt. Dann ist es immer ratsam zu sagen, dass man sich mit dem Neurologen oder mit uns in Verbindung setzt, sodass wir in zweiter Reihe im Backup unterstützen können oder auch von Schwerpunktambulanzen natürlich ganz andere Begutachtungen laufen können, Bescheinigungen zur Vorlage von Krankenkasse, als es häufig von einem Hausarzt dann bei der Kasse akzeptiert wird.
00:15:23
Speaker
Wie ist denn die Rückmeldung von den Erkrankten und den Angehörigen? Es muss ja für die eine ganz große Unterstützung sein, wenn viele solcher in Anführungszeichen lästigen Arbeiten wie Antrag stellen und so vielleicht erleichtert werden oder wie ist das, was erfahren sie?
00:15:41
Speaker
Das ist durchaus die Rückmeldung, die wir von Angehörigen und von Patienten bekommen. Viele schreiben auch, dass sie sagen, dass das einfach erstmal eine wahnsinnige Erleichterung zu wissen, da ist jemand, an den kann ich mich wenden. Also ich bin damit nicht mehr alleine. Viele sagen dieses Gefühl, du weißt gar nicht, wo du hin sollst, ist extrem schwierig.
00:16:01
Speaker
Und manchmal reicht es, dass wir miteinander am Telefon sortieren. Das ist auch etwas ganz Wesentliches. So anhören und mal sortieren und dann priorisieren. Also gucken, was von den vielen Themen ist denn jetzt wirklich das, was am ärgsten brennt und sich dann darauf konzentrieren.
00:16:21
Speaker
Viele haben ganz viele Prozesse laufen und kriegen es einfach nicht mehr geschafft. Also zu wissen, da ist jemand, den kann ich anrufen, dem kann ich schreiben, der meldet sich. Der hat begrenzte Zeit, das sage ich auch, oder der hilft mir auch, mich an andere Stellen zu bringen, wo ich dann letztendlich die Hilfe bekomme, die ich dann auch benötige.
00:16:43
Speaker
Also es gibt viele gute Rückmeldungen halt, die sagen, es ist gut, dass es das neben der medizinischen und wissenschaftlichen Versorgung da gibt, weil das sind die Themen, die uns im Alltag einfach unter den Nägeln brennen.
Ratschläge für neu diagnostizierte Patienten
00:17:01
Speaker
Und von daher, wenn Sie Patienten und Angehörige fragen oder die Maids lesen, ist das eine hohe Notwendigkeit.
00:17:09
Speaker
Haben Sie vielleicht einen Tipp oder irgendetwas, was Sie erkrankten Angehörigen raten können, wenn Sie jetzt gerade die Diagnose bekommen haben?
00:17:17
Speaker
Also wenn Sie die Diagnose bekommen haben, hört es sich manchmal schwer an, aber das, was ich versuche zu vermitteln, ist, dass man erst mal abwartet. Also was ich in der Erfahrung jetzt über viele Jahre sagen kann, ist alles das, was man dann ad hoc entscheidet, rückwirkend retrospektiv nicht wirklich das, was man
00:17:39
Speaker
später als gut erlebt. Also ich habe schon Situationen erlebt, dass Menschen in dieser Schock-Situation ihr Haus verkauft haben, also Altbau, und gesagt haben, wir müssen behindertengerecht bauen und Bungalow, damit wir später gut aufgestellt sind. Und es hat sich nachher herausgestellt, dass man nicht absehen konnte, dass man zwar ein Bungalow hat, aber mit der Gesamtsituation der Pflege, mit einem Intensivpflegedienst,
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Speaker
überfordert war und dass das im Grunde das Kriterium war. Die Treppen wären zu überwinden gewesen, aber das Leben mit 24 Stunden mit fremden Menschen in einem Haus tagtäglich war das, was nicht ging. Von daher versuche ich immer zu vermitteln, dass man erstmal abwartet und guckt,
00:18:23
Speaker
bis man das Gefühl hat, man hat in irgendeiner Form wieder Boden unter den Füßen. Also so eine gewisse, entweder völlige Lehre oder ein Aktionismus, das sind die beiden Muster, die man relativ häufig sieht und da erstmal ein bisschen Ruhe reinbringen und sagen, warten Sie erstmal ab, Sie verpassen jetzt im Moment auch nichts.
00:18:46
Speaker
Die Menschen, die im Grunde trotz weitreichender Symptome zu uns in die Ambulanz kommen und dann noch mal diese Diagnose gefestigt bekommen, wo wir uns oft fragen, die laufen immer noch unter Verdacht auf ALS und es ist schon sehr offensichtlich, die sind ja schon in dem Prozess der Versorgung. Es ist ja das, was Sie gerade gefragt haben, häufig die, wo man
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Speaker
noch nicht so ausgeprägte Symptome hat und plötzlich diese schwere Diagnose bekommt, die das Leben völlig verändert. Also ein bisschen Zeit schaffen halt, bis man so einen Zugang zu dieser Erkrankung gefunden hat. Dann ist etwas, was ich wiederum sehe, was sehr hilfreich ist, ist, wenn man
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Speaker
im Gespräch bleiben kann, also wenn die Kommunikation nicht versackt, wenn man sich als Paar oder als Familie oder als Gemeinschaft, in der man lebt, halt mitteilt, auch wenn es schwer ist. Also wenn man das gerade so bei Patienten und Angehörigen hat, haben sie häufig zwei Betroffene, weil Angehörige halt auch in Rollen kommen, ihr komplette Lebenssituation sich verändert, Lebensform sich verändert.
00:19:56
Speaker
Auch die brauchen im Grunde Unterstützung. Und manchmal ist das nicht übereinstimmend, dass Patienten und Angehörige was anderes möchten. Und trotz dieser Diversität dann miteinander im Kontakt zu bleiben und ehrlich diese Dinge zu kommunizieren, ist für mich
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Speaker
das, was ich erlebe, wo ich da merke, das trägt und das ist auch die Grundlage dafür, dass man das Schwere weiter miteinander tragen kann. Also in irgendeiner Form sich mitteilen, miteinander in Kontakt sein. Dann ist etwas, was auch wesentlich ist, inwieweit kann ich mich
00:20:34
Speaker
auf Veränderungsprozesse einlassen. Also nicht nur hören und sagen, es gibt die Möglichkeit, sondern wie weit kann ich mein Leben dann anders gestalten, als ich es eigentlich geplant habe. Und dem Ganzen in irgendeiner Form auch noch einen Sinn oder einen Wert
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Speaker
den Wert darin erkennen, weil das dann wirklich auch noch als lebenswert zu
Erfolgsgeschichte der Anpassung des Wohnraums
00:20:59
Speaker
sehen. Das gibt dann halt auch wieder Lebensenergie und Lebensqualität, die vieles möglich macht. Also das sind so wesentliche Schaltstellen, wo ich auch immer gut gucke, wie ist der Patient, wie ist die Familie aufgestellt, wo ich versuche letztendlich so ein bisschen zu sensibilisieren und zu gucken, was ist da möglich halt.
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Speaker
Das sagen wir alle eigentlich, egal ob Arzt oder Pflege oder Sozial- oder Psychologie. Wenn man es schafft, wenigstens auf gleicher Höhe mit der Erkrankung zu bleiben oder vielleicht sogar noch einen halben Schritt voraus, dann ist man nicht mehr immer in diesem Gefühl, man rennt hinterher und man kommt immer zu spät. Und das hat ganz viel mit Kommunikation, mit diesem Thema.
00:21:46
Speaker
Wie kann ich mich auf diese veränderte Lebenssituation einstellen? Und da habe ich schon vieles erlebt. Da habe ich schon Dinge erlebt, die wir am Anfang nicht für möglich gehalten haben, die dann aber sich auch als wirklich wahnsinnige Quelle entwickelt haben. Ich weiß, eine Frau, die hat immer gesagt, also sie hatte ein Haus und die war immer selbstständig und die war immer selbstbestimmt und so eine richtig Tafel, die hat gesagt, das Haus ist meine Burg, da kommt niemand rein. Und irgendwann kam sie und sagt sie,
00:22:16
Speaker
Ich habe mir das mal überlegt, so ein Haus ist ja groß und eigentlich lebe ich da alleine. Und es gibt ja so viele, die suchen eigentlich eine Wohnung. Jetzt habe ich das gekoppelt. Jetzt weiß ich, ich brauche Unterstützung. Und jetzt habe ich überlegt, kann ich das nicht zugänglich machen für eine Familie, die bereit ist, in irgendeiner Form dafür, dass sie keine Miete zahlen muss, mich in meiner Lebenssituation zu unterstützen? Und dann haben wir beide was gewonnen. Und die hat eine wunderbare Situation kreiert, wo die jetzt mit dieser Familie praktisch
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Speaker
in diesem Haus lebt und die voneinander profitieren und das jetzt auch mehr als als Mieter sind. Und das war am Anfang überhaupt nicht absehbar. Da habe ich niemals mit gerechnet. Aber über dieses Mal öffnen und zu sagen, kann ich mir das vielleicht vorstellen, sagen viele.
00:23:05
Speaker
Geht nicht, aber es sich trotzdem mal zu trauen und zu sagen, denken Sie doch mal darüber nach. Vielleicht gibt es auch Menschen in Ihrem Umkreis, die bereit sind, sich bei Ihnen letztendlich zu engagieren, die Lust haben, Ihnen zu helfen und Sie zu unterstützen. Es ist ja vielleicht auch ein bisschen befremdlich manchmal für uns Deutsche, aber das sind dann nochmal ganz besondere Pflege- und Lebenssituation, die sich als wunderbar Lebenswert gezeigt haben.
Abschluss und Forschungsförderung
00:23:35
Speaker
Vielen Dank für diese Botschaft und auch diese schöne Geschichte und die wertvollen Tipps, die Sie uns erzählt haben. Und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses Gespräch, Frau Gassmer. Gerne.
00:23:48
Speaker
Auch in den nächsten Episoden unserer Info-Reihe wollen wir uns mit den Unterstützungsmöglichkeiten rund um die ALS beschäftigen, aber auch über den aktuellen Forschungsstand auf dem Gebiet sprechen. Wenn Sie Fragen und Anmerkungen rund um das Thema ALS haben, schreiben Sie uns an information.dcne.de. Wir leiten Anfragen gerne an die Kollegen der ALS-Ambulanz weiter oder nehmen Sie ihn in einer späteren Episode auf.
00:24:11
Speaker
Wenn Sie die ALS-Forschung finanziell unterstützen wollen, können Sie dies gerne über die DZNE-Stiftung tun. Weitere Infos dazu gibt es unter dzne.de. Vielen Dank fürs Zuhören.