Einleitung zur fünften Episode der ALS-Serie
00:00:08
Speaker
Herzlich willkommen zur fünften Episode unserer Info-Reihe über ALS. Wir haben bereits über das Krankheitsbild der ALS gesprochen und über verschiedene unterstützende Begleitmaßnahmen bei der ALS-Erkrankung.
Herausforderungen beim Zugang zu ALS-Informationen
00:00:19
Speaker
In der letzten Episode Sozialberatung bei ALS sagte Frau Gaspar, ich zitiere, es gibt wirklich viele Unterstützungsangebote. Die Schwierigkeit ist nur, wie komme ich an diese Informationen und wie werden sie mir zuteil? Genau an diesen Problemen der fehlenden Informationen wollen auch wir mit dieser Info-Reihe arbeiten.
Was bedeutet unheilbar? - Dr. Patrick Weitz klärt auf
00:00:37
Speaker
Und immer unter dem Gesichtspunkt, wie Dr. Patrick Weitz es in der ersten Folge gut beschrieben hatte, er sagte, nur weil eine Krankheit unheilbar ist, heißt das nicht, dass einem nicht geholfen werden kann. Wie Dr. Weitz ebenfalls schilderte, ist die ALS eine Motoneuron-Erkrankung. Das heißt, die Nervenzellen, die für die Kontrolle und Steuerung von Muskeln und Bewegungen zuständig sind, werden zunehmend geschädigt.
00:01:03
Speaker
Da auf das Sprechen, Essen, Atmen letztlich mit Muskeln ausgeführt wird, leidet irgendwann auch die Sprachfunktion und es kommt zu Schluckstörungen.
Rolle der Sprachtherapie bei ALS
00:01:11
Speaker
Um die Lebensqualität der Erkrankten so lange wie möglich hoch zu halten, gibt es Hilfeunterstützung von logopädischer Seite.
00:01:18
Speaker
Was die Logopädie im Zusammenhang mit der ALS leisten kann, erzählt uns heute Hanna Moser. Sie ist Logopädin und arbeitet an der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie an der Uniklinik Bonn. Frau Moser, vielen Dank, dass Sie heute hier sind. Vielen Dank für die Einladung. Ich habe es gerade schon angesprochen. Im Verlauf der ALS-Erkrankung kommt es bei den Betroffenen irgendwann zu Sprachproblemen und Schluckstörungen. Können Sie das noch näher erläutern?
00:01:47
Speaker
Wir unterscheiden einmal zwischen Sprech- und Sprachstörung. Die Sprachstörung wird als Aphasie bezeichnet und meint beispielsweise Wortfindungsstörung. Die Sprechstörung bezieht sich auf Artikulation, Stimme, Atmung, Sprechgeschwindigkeit, Sprechlautstärke. In diesen Bereichen können dann Störungen auftreten.
00:02:06
Speaker
sodass die Betroffenen unverständlich werden. Und im Verlauf der ALS kann es dann auch notwendig werden, dass ein Kommunikationsgerät zum Einsatz kommt.
Schluckstörungen und Therapieansätze
00:02:15
Speaker
Die Schluckstörung wird als Dysphagie bezeichnet. Wir haben verschiedene Schluckphasen, die präorale Phase, die orale, die pharyngiale und die oesophagiale Phase. Und in allen Schluckphasen kann eine Störung auftreten, die ist dann gekennzeichnet, beispielsweise dadurch, dass Nahrung nicht mehr gut verarbeitet oder abtransportiert werden kann, dass Nahrung oder Speichel aus dem Mund austritt
00:02:36
Speaker
oder dass es eben zu Verschlucken kommt. Das heißt, dass Nahrung, Speiche oder auch Flüssigkeiten in die unteren Atemwege gelangen. Wenn die Sensibilität beeinträchtigt ist, dann kann es dazu führen, dass das Verschlucken unbemerkt passiert. Heißt, dass die Betroffenen es nicht merken, wenn sie sich verschlucken. Das ist dann natürlich bezüglich einer Lungenentzündung besonders gefährlich, weil Material in die Lunge gelangt, dort nicht entfernt wird und dann eben zu einer Lungenentzündung führt.
00:03:02
Speaker
Jetzt kennt man Logopädie eher im Zusammenhang mit Sprechstörungen, also mit falscher Aussprache. Wie kann Logopädie jetzt bei ALS-Betroffenen helfen und unterstützen?
00:03:15
Speaker
Wir machen eine ausführliche Diagnostik zu Beginn und da kommt zum Beispiel die FES zum Einsatz. Das ist die flexible Endoskopie des Schluckaktes. Da gehen wir mit einem dünnen Endoskop durch die Nase und schauen auf Kehlkopf und Luftröhre und schauen eben, ob Nahrung oder Speichel in die unteren Atemwege eindringt. Auch bei der Dysartrie, also bei der Sprechstörung, machen wir eine ausführliche Diagnostik und planen dann auf Basis dessen dann die Therapie
00:03:42
Speaker
und erklären den Betroffenen dann auch Kommunikationsgeräte, Sprachcomputer und so weiter. Ganz konkret, was kann das für eine Therapie sein oder die Kostanpassung?
00:03:52
Speaker
Also wir können zum Beispiel umstellen auf pürierte Kost oder wir haben die Möglichkeit, Getränke anzudicken. Das ist nicht immer sinnvoll. Man muss sagen, dieses Andickungspulver wird von den Betroffenen nicht immer gerne verwendet, weil es natürlich, also es ist geschmacksneutral, aber es verändert die Konsistenz und gerade in Wasser.
00:04:13
Speaker
Aber schmeckt es schon sehr gewöhnungsbedürftig und es geht nicht darum, den Betroffenen bestimmte Konsistenzen zu verbieten oder irgendwas zu verbieten, sondern es geht natürlich darum, Gefahren einfach zu minimieren und einzudämmen. Ich bringe da immer ganz gerne das Beispiel mit dem Rumpsteak.
00:04:29
Speaker
Wenn feste Konsistenzen nicht mehr gut geschluckt werden können oder auch das Husten stark beeinträchtigt ist, dann macht es eben Sinn, auf einen Rumpstick jetzt beispielsweise zu verzichten, weil wenn sich das in der Luftröhre irgendwie fest setzt und die Betroffenen das da nicht mehr raushusten können, dann kann es im schlimmsten Fall zu einem Erstickungstod führen.
Ernährung und Lebensqualität bei ALS
00:04:49
Speaker
Das heißt, Sie wollen in erster Stelle die Lebensqualität der Erkrankten so lange hochhalten und quasi eine künstliche Ernährung so lange wie möglich umgehen? Genau, die Lebensqualität steht absolut im Vordergrund, weil die ALS-Ebene fortschreitend der Erkrankung ist, die man ja leider bislang nicht heilen kann.
00:05:08
Speaker
Und genau, es ist ganz wichtig, gerade Nahrungsaufnahme, das steht ja in so einem starken Zusammenhang auch mit dem alltäglichen Leben. Also wenn wir uns mit Freunden treffen beispielsweise, es wird ja immer irgendwie auch gegessen oder so. Und es geht halt eben nicht darum, den Betroffenen das dann zu verbieten, sie darin dann irgendwie noch mehr einzuschränken, auch in ihrer Teilhabe am alltäglichen Leben, sondern eben, genau, Gefahren einfach einzudämmen und
00:05:35
Speaker
dann eben einfach zu empfehlen, was jetzt gerade noch Sinn macht oder vielleicht auf was gegebenenfalls verzichtet werden sollte. Trotzdem muss man natürlich sagen, dass auch eine künstliche Ernährung keinen Schlussstrich, sage ich mal, bedeutet, dass das auch nicht bedeutet, dass man nichts Orales mehr zu sich nehmen darf, sondern es geht da einfach darum, dass man eine Mangelernährung und eine Dehydration vermeidet und
00:06:01
Speaker
das aber trotzdem eben gegebenenfalls kleine Mengen, Flüssigkeiten oder auch bestimmte Konsistenzen noch aufgenommen werden können. Und Sie sagten gerade, festgestellt wird das mit dieser sogenannten Faes. Das heißt, der Betroffene selber kann nicht gut genug beschreiben, wo die Schluckstörung bei ihm ansetzt. Verstehe ich das richtig?
00:06:21
Speaker
Genau, also bei der FES geht es darum, zu schauen, wie gut die Schutzmechanismen noch sind, wie gut die unteren Atemwege noch vor Eindringen von Material geschützt werden können. Und es ist ja auch oft so, dass die Sensibilität so stark beeinträchtigt ist, dass die Betroffenen es erstmal gar nicht merken, wenn sie sich verschlucken.
00:06:40
Speaker
Und da hilft die Fees dann einfach auch zu schauen, welche Konsistenzen klappen noch gut. Es ist auch häufig so, wenn man zu den Betroffenen kommt und fragt, wie klappt das Schlucken, dann sagen die erst mal ja, super. Und dann fragt man noch mal genauer nach, müssen sie denn häufig husten? Ja, eigentlich bei Flüssigkeiten permanent. Dass sie das gar nicht so unbedingt auf dem Schirm haben, dass eben eine Schluckstörung auch auftreten kann und wie sich eine Schluckstörung dann äußert. Was sind dann erste Anzeichen, wann man so eine Fees machen sollte?
00:07:10
Speaker
Das ist zum Beispiel der Gewichtsverlust, wenn der auf einmal eintritt und man viel Gewicht in kurzer Zeit beispielsweise verliert. Eine Lungenentzündung, die plötzlich auftritt, aber auch solche Sachen wie Appetitlosigkeit beispielsweise oder
00:07:25
Speaker
dass man eben häufig Rollspann oder Husten muss, wenn man was zu sich nimmt, oral. Genau, das sind so erste Anzeichen. Oftmals ist es auch so, dass es den Angehörigen der Betroffenen erst mal auffällt, dass die sagen, ja, mein Angehöriger oder meine Angehörige hustet plötzlich bei der Nahrungsaufnahme, können wir da irgendwie mal nachschauen, woran das liegt.
Atemprobleme und mechanische Unterstützung
00:07:48
Speaker
Hängt der Verlust der Sprache auch mit Schluckproblemen zusammen? Oder wie ist der Verlauf da?
00:07:54
Speaker
Oftmals korreliert die Sprechstörung mit der Schluckstörung und es ist eben so, dass beides sehr häufig bei der ALS auch vorhanden ist und auch natürlich im Verlauf immer stärker ausgeprägt ist. Nach den Sprach- und Schluckproblemen kommt irgendwann auch das Atmen, was zu einem Problem wird. Was passiert dann?
00:08:18
Speaker
Wenn die Atmung betroffen ist, ist eben auch häufig das Husten betroffen, weil das natürlich mit der Atemmuskulatur zusammenhängt. Auch das wirkt sich dann wieder negativ aufs Schlucken aus und im Verlauf wird dann häufig auch eine maschinelle Beatmung notwendig, die dann durch eine Tracheotomie, also durch einen Luftröhrenschnitt gewährleistet werden kann.
00:08:38
Speaker
An wen können sich Betroffene und Angehörige
Zugang zur Sprachtherapie und deren Nutzen
00:08:41
Speaker
wenden? Jetzt bei der Tracheotomie, also dem Luftröhrenschnitt, wenden sich die Betroffene und Angehörigen wahrscheinlich an die Klinik, aber bei der Logopädie, also reicht da die normale Logopädie vor Ort.
00:08:54
Speaker
Man kann sich natürlich, gerade wenn Schluckstörungen beispielsweise auftreten, gerne auch immer an uns wenden. Wir haben eine Schluckambulanz, da können wir die Fees dann ambulant durchführen und da ist kein stationärer Aufenthalt dann notwendig. Und ich rate den Betroffenen auch immer, sich frühzeitig um einen Therapieplatz zu bemühen, weil die Wartelisten leider sehr voll sind. Und dann kann man auf den Internetseiten schon mal so ein bisschen nachschauen, gibt es Logopädinnen,
00:09:20
Speaker
in dieser Praxis, die mit neurologischen Störungsbildern vertraut sind oder im Idealfall natürlich auch mit der ALS und sich dann an die wenden. Das heißt, die ALS-Ambulanz ist wahrscheinlich immer erst der erste Ansprechpartner und gegebenenfalls kann der auch weitere Adressen vermitteln?
00:09:38
Speaker
Genau, wir machen das häufig so, dass wir dann auch mit den Betroffenen gemeinsam schauen, welche logopädische Praxis in der Nähe ist, wo Hausbesuche angeboten werden und wir versuchen dann auch schon mal einen Kontakt herzustellen, weil es natürlich für uns auch noch mal einfacher ist oder wir einen anderen Zugriff auf die logopädischen Praxen haben, um dann eben möglichst schnell einen Therapieplatz auch zu bekommen.
00:10:00
Speaker
Was können Sie Erkrankten und Angehörigen raten, möglichst früh mit der logopädischen Behandlung anzufangen oder erstmal abzuwarten oder wie soll man sich am besten verhalten?
00:10:13
Speaker
Also in der logopädischen Therapie bei ALS geht es darum, vorhandene Funktionen so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, die Lebensqualität zu erhalten. Deswegen sage ich immer, macht es keinen Sinn zu warten, bis nichts mehr geht, weil dann eben auch die vorhandenen Funktionen, die man vielleicht längerfristig hätte erhalten können, schon verloren gegangen sind. Und auch hier nochmal das Problem angesprochen mit den langen Wartelisten.
00:10:38
Speaker
Wenn man dann eben noch ein paar Monate auf den Therapieplatz warten muss, verstreicht eben wieder wertvolle Zeit. Also es macht wirklich Sinn, frühzeitig zu schauen, sich frühzeitig zu kümmern und auch immer wachsam zu bleiben. Also wenn man feststellt bei der Nahrungsaufnahme oder ja, es tritt das Verschlucken auf, man muss husten oder man verliert Gewicht, dass man da wirklich irgendwie hellhörig bleibt und dass man auf den eigenen Körper einfach
00:11:05
Speaker
achtet und auch Warnsignale ernst nimmt und dann frühzeitig handelt und eben nicht erst abwartet. Wie sind denn so die Rückmeldungen oder welche Erfahrungen machen Sie mit den Patienten nach so einer Therapie? Also wir bekommen häufig die Rückmeldung, dass die logopädische Therapie definitiv sinnvoll ist und den Betroffenen auch hilft.
00:11:26
Speaker
Wir haben natürlich immer nur einen sehr kurzen Eindruck von den Betroffenen, weil sie eben bei uns, wenn sie stationär aufgenommen werden, nicht lange da sind. Das heißt, wir können eine Therapie einleiten, aber die weiterführende Therapie wird dann ambulant übernommen. Wir können so den ersten Schritt quasi
00:11:42
Speaker
machen und es ist definitiv sinnvoll, eine logopädische Therapie zu beginnen, weil es eben darum geht, dann die Kommunikation aufrecht zu erhalten. Viele Betroffene wissen gar nicht, dass es die Möglichkeit für einen Sprachcomputer beispielsweise gibt oder dass man eine Kostanpassung vornehmen sollte. Das macht dann schon Sinn, dass man gemeinsam bespricht, was jetzt gerade ratsam oder sinnvoll für die Betroffenen ist.
00:12:06
Speaker
Vielen Dank für diese wichtigen Hinweise zur logopädischen Unterstützung bei ALS.
Vorschau auf die nächste Episode mit Dr. Patrick Weid
00:12:12
Speaker
Und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben, Frau Moser. Dankeschön. In der nächsten Episode unserer Info-Reihe wollen wir nochmal mit Dr. Patrick Weid sprechen. Diesmal nicht über das Krankheitsbild der ALS, sondern über den aktuellen Forschungsstand. Als Leiter der ALS-Ambulanz und vor allem als Forscher bei uns hier am DCTN-E kann er uns einen guten Einblick über diesen Forschungsbereich geben.
00:12:34
Speaker
Wenn Sie Fragen und Anmerkungen rund um das Thema ALS haben, schreiben Sie uns an information.dzne.de. Wir leiten Anfragen gerne an die Kollegen der ALS-Ambulanz weiter oder nehmen sie in einer späteren Episode auf. Wenn Sie die ALS-Forschung finanziell unterstützen wollen, können Sie dies gerne über die DZNE-Stiftung tun. Weitere Infos dazu gibt es unter dzne.de. Vielen Dank fürs Zuhören.