Einführung in ALS-Behandlung
00:00:08
Speaker
Herzlich willkommen zur zweiten Episode unserer kleinen Info-Reihe über ALS. In der ersten Episode hat uns Dr. Patrick Weid bereits einen sehr guten allgemeinen Überblick über die Krankheit ALS gegeben.
00:00:19
Speaker
Er hat uns erzählt, was die ALS ist, wie der Verlauf der Krankheit aussieht und was nach der Diagnose genau passiert. Aber auch von den Behandlungsmöglichkeiten gesprochen und an wen sich die Erkrankten und die Betroffenen wenden können. Das Spektrum der Unterstützung, sagt er, ist vielfältig, sei es medikamentös, technisch oder psychisch.
Psychologische Auswirkungen von ALS
00:00:37
Speaker
Über den psychischen Aspekt soll es in dieser Episode der Info-Reihe gehen.
00:00:42
Speaker
Dazu sitzt Dr. Franziska Röseberg neben mir. Sie ist Diplompsychologin und Fachpsychologin Palliativ Care der ALS-Ambulanz und arbeitet mit ALS-Erkrankten und Betroffenen zusammen. Frau Dr. Röseberg, vielen Dank, dass Sie hier sind. Ja, vielen Dank für die Einladung. Sie sind eigentlich Diplompsychologin. Wie ist Ihr Bezug zu ALS entstanden?
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Speaker
Ich arbeite als Diplompsychologin schon längere Zeit im Bereich Palliativmedizin. Es gibt in Bonn das Zentrum für Palliativmedizin am Helios Klinikum. Dort arbeite ich mit vielen Patienten mit lebenslimitierenden Erkrankungen.
00:01:20
Speaker
Und da waren über die Jahre auch immer mal wieder ALS-Patienten dabei. Und so hat sich eine Kooperation entwickelt zwischen dem Zentrum für Palliativmedizin und dann dem Dr. Weid und der ALS-Ambulanz. Und so wurde dann diese erste vereinzelte Begleitung von ALS-Patienten und Angehörigen. Irgendwann wurde es auffällig, dass einfach doch da auch eine Lücke ist und dass da was fehlt.
Finanzierung und Unterstützung für Patienten
00:01:44
Speaker
Und so kam es dann dazu, dass über die Bruno-Schmidt-Stiftung tatsächlich ein Budget für die psychologische Betreuung oder Beratung erstellt worden ist und zur Verfügung gestellt worden ist. Und seit jetzt zwei Jahren arbeite ich für die ALS-Ambulanz und betreue Patienten und Angehörige.
00:02:07
Speaker
Dr. Weid hat den psychischen Aspekt der ALS in der ersten Episode kurz angesprochen. Er sprach damals von einem Trauma, einem Trauma, das die Erkrankten und die Betroffenen quasi überfällt. Wie würden Sie das einschätzen?
00:02:25
Speaker
Naja, es ist auf jeden Fall ja sehr schockierend, wenn da so eine Nachricht kommt, ich habe eine Diagnose, die auf jeden Fall irgendwann zum Tode führen wird und die mit so vielen gravierenden Einschränkungen einhergeht. Trauma ist ja streng genommen eine Situation, die die Bewältigungsmöglichkeiten desjenigen, der dieses Trauma erlebt, übersteigt.
00:02:49
Speaker
Und es hängt dann sehr davon ab, wie man mit dieser Information umgeht und wie man das auch bearbeiten kann. Ob man sich daran anpassen kann oder ob es tatsächlich so etwas wie eine Traumatisierung in Folge dessen gibt. Ich denke, dass der Schock am Anfang ganz normal ist und auch dazu gehört, denn niemand hat damit gerechnet, plötzlich die Diagnose zu bekommen.
00:03:13
Speaker
Es gibt auch Patienten, die sagen, es ist ein bisschen entlastend, weil lange, lange gesucht wurde und dann plötzlich hat das Symptom oder die Symptome haben dann einen Namen. Und es kann auch sein, dass es diese Entlastung gibt. Aha, ich hab's, also es ist irgendwas wirklich nicht in Ordnung. Aber die Regel ist doch eher, dass man schon ganz schön geschockt ist davon, dass dann so eine Diagnose gestellt wird, sowohl die Angehörigen als auch die Patienten
Bedeutung früher Interventionen
00:03:39
Speaker
Und damit es eben nicht zu einer Traumatisierung kommt, geht es auch darum, gleich von Anfang an, auch neben dem medizinischen Teil, der sehr, sehr wichtig ist und auch dem einfühlsamen Kommunizieren von Ärzten, Pflegekräften und auch den Leuten, die Menschen einfach mit Hilfsmitteln versorgen zum Beispiel,
00:03:58
Speaker
dann spezifisch vielleicht psychologische Beratung an die Seite zu stellen oder mal zu gucken, wer bräuchte vielleicht dann doch noch ein bisschen mehr. Oder Angehörigen würden wir ja auch dazu raten, sich vielleicht Unterstützung bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten zu suchen, wenn es das übersteigt, was wir in der ALS-Ambulanz anbieten können.
00:04:17
Speaker
Ja, das Gefühl, dass einem quasi der Boden unter den Füßen weggerissen wird, das ist in der psychologischen Gesprächsführung wahrscheinlich relativ normal. Ich denke da an Depressionen oder ganz alltägliche Lebenskrisen, die dann aufgearbeitet werden. Und da denke ich mir immer, da versucht man ja den Hoffnungsschimmer am Firmament noch zu sehen, irgendwelche Perspektiven aufzubauen. Das stelle ich mir bei der ALS
00:04:45
Speaker
sehr schwierig vor, was sprechen Sie mit dem Erkrankten? Ich glaube, am Anfang geht es genau darum, das mal zu thematisieren und auch sagen zu dürfen. Also ich stelle mich einfach in Anführungszeichen als Gegenüber zur Verfügung und höre erst mal, was geht denn in demjenigen vor, in Gedanken, in Gefühlen, dass man das einfach noch mal so ein bisschen beschreibt rundrum. Es gibt auch manchmal Situationen,
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Speaker
wo man vielleicht ein bisschen vorsichtig ist, alles in der schwersten Tiefe sozusagen vielleicht auch dem Ehepartner, der Ehepartnerin zu sagen. Ich habe auch schon mal darüber nachgedacht, dass ich zum Beispiel nicht mich tracheotomieren lassen möchte und man weiß, der andere ist dann schwer schockiert. Also insofern bin ich erstmal auch ein neutrales Gegenüber, dass ich erstmal anhören kann, was ist eigentlich, was geht in demjenigen vor.
00:05:34
Speaker
Und ehrlich gesagt, ich finde immer unglaublich, was die menschliche Psyche so alles kann. Das mag am Anfang nicht immer sofort da sein, aber es gibt schon Möglichkeiten, sich auch an so eine Diagnose anzupassen.
Hoffnung durch Resilienz und Forschung
00:05:49
Speaker
Und Hoffnung ist nicht
00:05:52
Speaker
unbedingt nicht da. Also ich kann zum Beispiel darauf hoffen, dass ich zu denjenigen gehöre, die einen langsamen Verlauf haben. Ich kann auch darauf hoffen, dass ich trotz dieser Erkrankungen friedlich und würdevoll sterben kann zum Beispiel. Also Hoffnung ist sehr relativ und ich glaube, das ist auch ein Teil
00:06:11
Speaker
Wenn das gelingt, Hoffnung zu behalten, obwohl so eine Diagnose so schwerwiegend ist und so gravierend, ist schon auch immer ganz gut. Also wenn da ein Stückchen Hoffnung bleibt. Natürlich haben Sie recht, es gibt nicht die Hoffnung auf Heilung, zumindest bis jetzt.
00:06:27
Speaker
Aber sagen wir mal so, Menschen, die sich sehr engagieren, jetzt auch für die Forschung in diesem Bereich, die haben die Hoffnung, dass es irgendwann eine Heilmittel gibt. Und diese Hoffnung stabilisiert dann auch wieder. Dass es vielleicht nicht für sie selbst hilft, aber vielleicht für weitere Generationen, für Patienten. Ich glaube, Hoffnung ist etwas, was uns Menschen sehr ... Es scheint sehr verwurzelt zu sein und scheint uns auch in ganz schwierigen Situationen zu helfen. Also, wenn es mir gelingt,
00:06:55
Speaker
Nach der ersten Hoffnungslosigkeit, die vielleicht auch erst mal da sein darf, dann zu sehen, aber vielleicht gibt es das, auf das ich hoffen kann. Dann ist schon viel gewonnen. Gibt es irgendeine bestimmte Strategie, wie man das machen kann? Wie findet man dann Mut wieder in so einer Lage?
00:07:12
Speaker
Naja, ich glaube in erster Linie fühlen Menschen sich verstanden, wenn sie wirklich mal auch sagen dürfen, was alles ist, also was Patienten ja erleben ist, dass ihnen gesagt wird, also von gutmeinenden Bekannten oder Freunden, ach das wird schon wieder oder so, das ist nicht hilfreich.
00:07:30
Speaker
Weil im Prinzip geht es genau darum, dass ich erkenne, es wird nicht wieder. Also ich muss den Realitäten ins Auge sehen und muss verstehen, es ist wirklich eine Erkrankung, die schwerwiegend ist und an der ich auch irgendwann sterben werde.
00:07:48
Speaker
Und dann geht es darum, die Ressourcen, die da sind beim Patienten, irgendwie auch wieder zu aktivieren. Und ich glaube, das ist unterschiedlich. Ich spreche ja mit manchen Patienten auch nur ein, zwei Mal. Dann sagen die auch, es reicht mir, wenn ich weiß, ich darf sie anrufen. Und mit anderen arbeite ich länger. Oder andere vermittel ich auch an Kolleginnen und Kollegen, die niedergelassen sind. Und das ist dann sehr unterschiedlich. Manchmal geht es darum, was hat mir denn früher im Leben geholfen, wenn ich in Krisen war?
00:08:18
Speaker
Oft ist ganz hilfreich, wenn wir uns daran zurückerinnern, dass einfach, was bin ich denn jenseits meiner Leistung? Also wenn ich jetzt zum
Therapieansätze für Patienten und Familien
00:08:29
Speaker
Beispiel nicht mehr arbeiten gehen kann, was bin ich trotzdem wert sozusagen? Oder wer bin ich eigentlich, wenn ich zum Beispiel nicht mehr berufstätig sein kann?
00:08:37
Speaker
Oder andere Patienten, die sagen Gott sei Dank, kann ich noch ein bisschen arbeiten. Und das ist mir ganz wichtig, sagte neulich auch eine Patientin auf dem ALS-Infotag, die sagte, es ist gut, dass ich noch ein bisschen arbeiten kann. Also etwas stabilisierendes zu finden, obwohl es so schwerwiegend ist. Und natürlich geht es auch darum,
00:08:56
Speaker
mit der Krankheit Schritt zu halten und immer entsprechende Unterstützung und vielleicht auch Hilfsmittel zu bekommen, damit ich nicht in so belastende Krisen gerate, die dann also Patienten stürzen. Und dann ist irgendwann klar, okay, es geht nicht mehr ohne Rollstuhl.
00:09:14
Speaker
Und wenn ich jetzt fünf-, sechsmal gestürzt bin, dann werde ich das sagen, ja Mensch, nee, jetzt ist es Zeit für den Rollstuhl. Ich kann aber auch vor, also wenn mich jemand so ein bisschen begleitet und unterstützt, kann ich sagen, okay, es könnte jetzt demnächst sein, dass sie nicht mehr gehen können. Und bevor sie stürzen, wie wäre es mit dem Rollstuhl? Also ich kann dann sozusagen die Hürden ein bisschen versuchen zu minimieren. Also es ist immer die Frage, wie komme ich ins Gestalten, obwohl diese Einschränkungen da sind?
00:09:43
Speaker
Sie sprechen ja sowohl mit den Angehörigen als auch den Erkrankten oder sprechen Sie dann zusammen? Es ist sehr unterschiedlich. Ich mache das immer so, dass ich das anbiete. Es gibt oft erste gemeinsame Gespräche und daraus entwickeln sich dann manchmal auch getrennte Gespräche, weil die Themen einfach verschieden sind. Eine Ehefrau sagte mir mal, ich weiß, dass es für mich einen danach geben wird, aber für meinen Mann eben nicht.
00:10:07
Speaker
Und sie hat sich auch geschämt, überhaupt daran zu denken, dass es einen danach geben wird. Und gleichzeitig ist es ja wichtig, es stabilisiert sie ja auch, darüber nachzudenken, okay, die Kraft muss jetzt eine Weile reichen, wie lange wissen wir nicht, aber ich darf dann auch
00:10:24
Speaker
daran denken, dass es ein Leben danach geben wird. Das ist nicht so ganz einfach, weil das natürlich bedeutet, dass man den Tod des anderen vorwegnimmt. Und wenn man jemanden sehr liebt, dann wünscht man ihm natürlich nicht den Tod. So ist es nicht gemeint. Aber es darf vielleicht auch eine Rolle spielen, wenn ich sehr jung bin, zu sagen, vielleicht werde ich aber trotzdem irgendwann noch mal einen anderen
00:10:49
Speaker
Partner haben oder ich möchte nicht allein leben. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Oder ich habe besondere Angst davor, wenn ich alles alleine machen muss. Spielt die Würde auch häufiger ein Thema? Also ich kann mir vorstellen, wenn man also immer mehr Selbstständigkeit verliert, dass das auch ein großes Thema ist.
00:11:06
Speaker
Ich glaube, würde ist ein ganz, ganz wichtiger Begriff. Es gibt ja im Grundgesetz, die Würde des Menschen ist unantastbar. Und wenn wir uns jetzt vorstellen, dass wir bei allem, was wir tun, auf Hilfe angewiesen sein würden mit der ALS-Erkrankung oder die Patienten sind es dann, dann ist es natürlich nicht so leicht zu sagen, das ist jetzt alles sehr würdevoll, weil ich muss plötzlich Dinge andere machen lassen, die ich sonst im Privaten getan habe.
00:11:32
Speaker
Und da ist es so ganz wichtig, dass dieser Wert, wer bin ich trotz der Einschränkungen, trotz der Behinderungen, also dass das vielleicht wirklich eine grundlegende Frage ist, der ich nachgehe und dass auch Menschen mit mir so umgehen, dass die Würde bewahrt werden kann.
00:11:49
Speaker
Ich habe mal einen Patienten erlebt, der gesagt hat, es war ganz schlimm, die haben immer nur noch mit meiner Frau geredet, aber ich bin doch geistig ganz da. Es ist nur ein bisschen mühsam, den Sprachcomputer anzumachen und dann mit mir langsamer zu sprechen, bis ich dann mit der Augensteuerung die Kommunikation wieder startklar habe.
00:12:08
Speaker
Also da wäre Würde bewahrend gewesen, wenn man sagt, ich spreche mit dem Patienten, dazu braucht der seinen Sprachcomputer, dazu muss ich den anmachen und da muss ich mich auf das Tempo einstellen, was ein bisschen langsamer ist.
00:12:21
Speaker
Ja, ich denke, es hat ja auch was mit Last zu tun. Also nicht nur seine eigene Würde irgendwo in Gefahr zu sehen, sondern auch eine Last anderen aufzubürgen, die man vielleicht auch nicht mehr will. Also wenn es dann um Depressionen oder ähnliches geht, hat das auch damit zu tun, gar nicht unbedingt das eigene selbst, sondern den anderen gegenüber.
Selbstwahrnehmung und Abhängigkeit
00:12:44
Speaker
Ja, ich denke, das ist ein relativ weit verbreiteter Gedanke. Bin ich nur noch eine Last für alle, wenn ich jetzt hier weiterlebe und ich kann doch eigentlich nichts mehr? Jetzt reden wir von Patienten, die sich nicht mehr bewegen können, die nur noch per Augensteuerung kommunizieren können. Das ist ja in der letzten Phase der Erkrankung so. Aber die letzte Phase kann eben auch sehr lang sein, wenn ich dann zum Beispiel tracheotomiert bin.
00:13:08
Speaker
Auf jeden Fall. Und es ist ein Punkt, da geht es eben darum, wie kann ich selbst mich daran gewöhnen oder in die Wahrheit hineinwachsen vielleicht, dass ich wirklich abhängig bin? Und gleichzeitig, wie kann ich mich trotzdem als unabhängiger Mensch fühlen mit diesen Abhängigkeiten?
00:13:27
Speaker
Und das gelingt eben sehr unterschiedlich. Und das gelingt natürlich eher, wenn ich liebevoll gepflegt werde und wenn zum Beispiel Angehörige auch nicht alles alleine machen, sondern vielleicht eine Pflege auch durch ein gutes Pflegeteam mit unterstützt wird. Und ja, da ist dann schon der Punkt. Also wir haben überall Pflege, Kräftemangel. Es ist nicht so ganz leicht. Wir reden hier von 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
00:13:54
Speaker
ganz leicht. Also es wird dort würde anfragende Erfahrungen geben. Die gibt es für jeden Patienten in der Pflegesituation. Und dann unterscheiden sich natürlich Menschen auch, wie, ja, weiß ich nicht, ich will das Wort stark nicht benutzen, aber im Prinzip sagt es das, also wie stark bin ich und wie sehr kann ich diese Schwäche zulassen, dass ich da abhängig bin, weil es nicht anders geht. Es ist die Krankheit, die mir zumutet, Hilfe anzunehmen, annehmen zu müssen.
00:14:22
Speaker
Und trotzdem zu sagen, ich bin, also nicht daran zu verzweifeln und zu sagen, ich bin nichts mehr wert. Und das ist, ja, das ist die große Herausforderung. Wie kann man das unterstützen? Und wie gelingt das Patienten unterschiedlich gut? Also es gibt Patienten, die, ja, mit langsameren Verläufen, da geht es darum, darf ich mir erlauben, dass ich die Zeit, die ich jetzt mit dieser Erkrankung habe, vielleicht auch nicht mehr unbedingt berufstätig verbringe. Aber darf ich trotzdem
00:14:52
Speaker
noch immer zum Tennisverein gehen, selbst wenn ich nicht mehr mitspielen kann. Oder gucke ich mir irgendwas an, gehe ich zum Konzert. Und dann gibt es natürlich auch die Patienten, die sehr eingeschränkt sind. Und auch da gibt es Menschen, die es gut schaffen.
00:15:09
Speaker
Wir fahren auch trotz ALS in den Urlaub, wir gehen auch auf Konzerte. Oder ich muss auch nicht immer unbedingt betreut bleiben, sondern dann ist jemand anders bei mir und meine Ehefrau kann mal sich mit Freunden treffen oder so. Also es gibt Menschen, die führen trotz dieser Erkrankung ein verhältnismäßig gutes Leben. Und genau darum geht es, also um Teilhabe. Wie kann ich teilhaben am Leben, obwohl ich diese Erkrankung habe?
00:15:36
Speaker
Wann beginnt diese Gesprächsphase in der ALS Ambulanz?
00:15:41
Speaker
Im Prinzip eigentlich mit der Diagnosistellung. Also dann wird das auch angesprochen, ob da Bedarf ist. Und wie gesagt, manchen reicht die Information, dass sie sich melden könnten, wenn sie es möchten. Und es gibt auch Patienten, die sagen, ich möchte mich nicht mehr als ohnehin schon damit beschäftigen und ich will da nicht drüber reden. Und dann gibt es die anderen, die sehr dankbar für so ein Angebot sind, weil man ja auch weiß, im niedergelassenen Bereich ist die Hürde Psychotherapie zu bekommen relativ hoch und es dauert relativ lang. Das ist ja in so einer Krisensituation nicht zumutbar.
00:16:12
Speaker
Insofern ist es dann gut, wenn innerhalb von wenigen Wochen dann zumindest mal ein erster Kontakt stattfindet. Ich habe mit Patienten auch manchmal per Zoom Gespräche oder eben über digitale Medien, weil dann einfach Menschen nicht noch mal hierher kommen müssen. Also wir versuchen da sehr flexibel zu sein. Manche sagen, ich will auf jeden Fall kommen, damit wir uns einfach auch sehen. Es gab auch Patienten, die sind am Anfang gekommen und können das jetzt nicht mehr.
00:16:41
Speaker
Also im Prinzip ist eine ziemlich große Lücke, die Angebote, die Unterstützungsangebote auch zu den Patienten zu bringen. Entweder über digitale Wege und streng genommen ehrlich gesagt auch mit Hausbesuchen. Also SAPV, spezialisierte ambulante Palliativversorgung geht ja auch zu den Patienten hin. Und eigentlich sehr eingeschränkte Patienten wäre es eigentlich auch sinnvoll, wenn auch Psychotherapeuten, Psychologen Hausbesuche machen können. Das tun sie auch, aber wenn die eben auch abrechenbar wären.
00:17:09
Speaker
Sie haben am Anfang schon gesagt, dass auch Ihre Stelle, Ihre Arbeit in der ALS-Ambulanz nur deswegen möglich ist, weil Bruno Schmidt mit der Initiative das quasi selbst ermöglicht hat. Was können Sie den anderen Erkrankten raten oder Betroffenen? Wo finden die normalerweise Hilfe oder was könnten die tun?
00:17:29
Speaker
Also auf jeden Fall ist es gut, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Also so, wir würden sagen, Empowerment, also zu sagen, wie machen es andere? Ich muss nicht jedes Problem alleine lösen, sondern kann mir von anderen ein Rat einholen und sagen, ach, das ist ja interessant, so machen die das. Und das ist auch möglich, also es wären ja alles Dinge, die ich erleben kann, wenn ich mit anderen Betroffenen spreche.
00:17:54
Speaker
Sicherlich, ich glaube, es gibt jetzt vielleicht nicht ganz so viele Psychotherapeuten, die explizite Erfahrung mit der ALS haben.
Austausch mit Fachleuten und Betroffenen
00:18:02
Speaker
Aber ehrlich gesagt, glaube ich, wenn ich erkläre, was ALS ist und was für Herausforderungen da sind, dann werden auch niedergelassene Psychotherapeuten sich so reinarbeiten in die Themen. Denn letztendlich sind es die Themen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung.
00:18:18
Speaker
die auch im ganz normalen niedergelassenen Bereich eigentlich gut betreut und begleitet werden können. Gerade für Angehörige, denke ich, ist es ganz wichtig. Im Prinzip geht es darum, dass man Unterstützung bekommt. Es wäre zu raten, sich an
00:18:36
Speaker
entweder Palliativ-Teams zu wenden oder auch an Psychotherapeuten und eben auch zu erklären, dass man jetzt nicht so ewig lange warten kann. Im Bereich der Krebserkrankung gibt es ja die Krebsberatungsstellen. Sowas wäre auch gut, wenn es dann solche Beratungsstellen gäbe, wo man schneller auch mal psychologische Beratungen bekommen könnte.
00:18:57
Speaker
Das ist jetzt in der ALS-Ambulanz so. Und wenn jemand hier nicht wohnt, zum Beispiel, versuche ich dann auch in anderen Bereichen Adressen von Psychotherapeuten rauszusuchen. Und das ist auch schon in einigen Fällen gelungen, dann Leute wirklich psychotherapeutisch anzubinden. Und dann habe ich die Zeit bis zum Beginn der Therapie dort vor Ort auch überbrückt mit Kontakten, die dann eben nicht ganz so regelmäßig sein können. Psychotherapie wäre einmal in der Woche.
00:19:22
Speaker
Das ist aber vielleicht auch nicht immer unbedingt notwendig. Also ich kann durchaus in diesem Bereich vielleicht auch mal zwei, drei Wochen vergehen lassen bis zum nächsten Gespräch, weil der Alltag auch anstrengend ist. Und die Leute viele Termine haben, meistens Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, dann ist ja die Woche schon ganz schön voll.
00:19:39
Speaker
Ja, und beim normalen Psychotherapeuten sind die Wartelisten ja auch lang. Ja, genau, das ist im Moment besonders schwierig, aber trotzdem nicht entmutigen lassen. Ich würde es immer weiter versuchen. Und es kann so gut sein, auch als Angehörige einen Raum für sich zu haben und zu sagen, ich brauche hier einfach in der nächsten Zeit Unterstützung und Begleitung. Und es muss und darf auch mal um mich gehen, wie ich mich fühle. Weil wenn es den Angehörigen, wenn die stabil sind und stabil, ja, oder so stabil wie möglich vielleicht,
00:20:09
Speaker
dann kommt es auch dem Patienten zugute. Sie waren vor kurzem hier bei unserem DZNE, bei dem ALS-Informationstag. Da haben Sie erzählt, dass es beispielsweise verschiedene Ich-Zustände gäbe. Ist das was, was Sie vielleicht anderen mitgeben, so ein Bild?
00:20:26
Speaker
Also das gibt so sehr gute Modelle aus der Palliativpsychologie. Also die Herausforderung von Schwerstkranken ist, gleichzeitig verschiedene Ichzustände zu erleben und zwar
00:20:41
Speaker
im Hier und Jetzt zu sein. Und gerade geht es mir so weit gut. Und gleichzeitig weiß ich aber, dass ich irgendwann sterben werde. Und ehrlich gesagt, wenn wir jetzt hier so gesund sitzen, dann wissen wir
Psychische Belastungen und Entscheidungen
00:20:54
Speaker
das auch. Aber wir haben das nicht so in unserem Bewusstsein immer die ganze Zeit. Mit der Diagnose ist es dann viel präsenter.
00:21:02
Speaker
Und diese verschiedenen Ichzustände sind einfach gleichzeitig da und dieses zu spüren ist sehr, sehr anstrengend. Und dieses Konzept nennt sich doppelte Bewusstheit von Rodin und Zimmermann, kanadische Psychiater, die das entwickelt haben, um zu beschreiben, was sind die Herausforderungen von Schwerstkranken.
00:21:24
Speaker
Und ich fand das sehr eindrücklich, weil das kann gleichzeitig da sein. Ich kann sagen, ich möchte nicht mehr. Ich will sterben. Gleichzeitig habe ich Angst vorm Sterben. Und gleichzeitig möchte ich aber mit denen, die ich liebe, zusammen sein. Also, dass wir uns nicht wundern. Das kann alles gleichzeitig da sein. Und es hängt dann davon ab, wie derjenige das gut balancieren kann und auch flexibel so hin und her gehen kann zwischen diesen Zuständen.
00:21:50
Speaker
Und das gilt es zum Beispiel in der psychologischen Begleitung auch zu unterstützen. Es ist gleichzeitig da. Mal ist das eine mehr bewusst, mal das andere. Vielleicht ist auch alles gleichzeitig bewusst, aber das löst eine große Spannung aus. Und dabei ins Gestalten zu kommen und zu sagen, ich versuche mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und ab und zu gucke ich mal nach vorne und überlege mir,
00:22:14
Speaker
mache ich eine Patientenverfügung, will ich bestimmte Dinge unbedingt, dass die gemacht werden oder schließe ich auch bestimmte medizinische Maßnahmen aus, die dann eine Krankheit deutlich verkürzen? Nehme ich das in Kauf oder kann ich mir vorstellen, ich passe mich auch an eine Beatmungssituation an? Und da gibt es kein richtig oder falsch, sondern immer nur passend zu dem Patienten und zu der Familie, in der er lebt.
00:22:38
Speaker
Und es ist ja durchaus nicht so ganz ungewöhnlich, dass nicht von Anfang an alle Beteiligten der gleichen Meinung sind. Also auch da könnte es ja Unterschiede geben. Und das kann man eben auch in psychologischen Gesprächen mal besprechen. Vielleicht auch dieses Gefühl, ich mache die Tracheotomie, weil meine Frau unbedingt möchte, dass ich weiter durchhalte. Oder erlaube ich mir auch mal zu denken, was wäre denn, wenn ich sie nicht machen würde, dann würde ich schneller sterben.
00:23:05
Speaker
Darf das sein? Oder andersrum, ich schließe für mich Sachen aus und der Patient möchte sie aber, dass man dann guckt, wie kommt man überein. Und im Zweifel bleiben diese Unterschiede bestehen. Und dann gilt natürlich das, was der Patient sagt und was er sich wünscht. Und dann muss man gucken, wie kriegt man die Unterstützung, wie kriegt man das Unterstützungssystem dahin, dass man da auch so reinwächst in diese Lösung.
00:23:34
Speaker
Ich hab schon ganz oft erlebt, dass man am Anfang denkt, mein Gott, wie soll das gehen? Und im Verlauf der Erkrankung und auch der Anpassungsprozesse, die so psychisch passieren, wachsen Menschen in diese Situation hinein. Und dann verändern sich Wünsche. Also es gibt durchaus beides, ne? Menschen, die sagen, ich hätte mir nie vorstellen können, mich tracheotomieren zu lassen, die es gemacht haben, die dann sagen, es war gut so, weil es hat mir gute Jahre geschenkt. Und andere, die sagen,
00:24:01
Speaker
Ich möchte es nicht. Und dann kann man natürlich auch eine Beatmung beenden und trotzdem friedlich sterben. Also all diese Prozesse sind sehr individuell und hänge eben auch sehr davon ab, wie es dem Patienten und auch dem Umfeld gelingt, Lebensqualität in diesen Situationen zu kreieren, würde ich fast sagen, weil die ist ja nicht automatisch da.
00:24:28
Speaker
Ja, wie Sie schon sagen, sehr komplex, viele Sachen gleichzeitig, viele Zustände, viele Fragen. Aber wie Sie es schon gesagt haben, dann verschiedene Zustände, die vielleicht die schwarzen, die dunklen Momente, aber auch die Ich-Zustände, die vielleicht dann auch Glück noch ausstrahlen, die wieder zu
Soziale Einbindung durch Angehörige
00:24:48
Speaker
finden. Genau. Und dafür ist das psychologische Gespräch
00:24:53
Speaker
Sehr wichtig. Gibt es noch irgendwas, was Sie Bekannten, Freunden oder den Patienten raten können, mitgeben können?
00:25:03
Speaker
Ich glaube, es lohnt sich immer hinzugucken, was ist trotzdem gut, also was funktioniert, was geht. Und Bekannten und Freunden und Arbeitskollegen kann ich nur raten, fragen sie nach, trauen sie sich, Fragen zu stellen und gehen sie nicht davon aus, dass derjenige den Kontakt nicht möchte, sondern gehen sie lieber hin und sagen,
00:25:24
Speaker
Wie geht es dir eigentlich? Oder ich kann auch sagen, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich finde es so schwierig, dass du so krank bist. Aber ich bin trotzdem hier, erzähl mir mal. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie es Patienten gelingt, mit solchen Situationen umzugehen. Und da lernen wir als Begleitende auch ehrlich gesagt immer mit.
00:25:44
Speaker
Und ein Patient ist mir sehr eindrücklich in Erinnerung, der hat dann irgendwann, trafen sich immer mehrere Freunde und es war irgendwann so, dass sich diese Freunde eben miteinander unterhielten und er so ein bisschen außen vor war, weil das ein bisschen dauerte, also da hatte er noch keine Sprachunterstützung, aber es war ein bisschen langsamer.
00:26:03
Speaker
Das Gespräch. Und dann hat er das sehr ... Also, er hat es bemerkt, wir haben es besprochen. Und dann hat er gesagt, ich möchte, dass das anders ist. Wenn ich Besuch bekomme, soll sich einer neben mich setzen und mit mir vis-à-vis zu zweit sprechen. Das heißt, der hat total gut gestaltet, wie für ihn die Gesprächssituation mit mehreren Menschen wieder angenehmer ist. Ja. Also, ich glaub, darum geht es, immer wieder zu gucken, was könnte mir jetzt helfen? Und was wünsch ich mir? Und was geht trotz der Erkrankung?
00:26:33
Speaker
Was natürlich auch für die Besucher in dem Fall nicht ganz einfach ist. Ich stelle mir auch da die Situation nicht einfach vor. Wie geht man mit Erkrankten um? Mitleid oder lieber gar kein Mitleid? Ich kann mir vorstellen, dass manche nur aus dem Grund erst mal den Kontakt überhaupt scheuen. Das ist ja für den Patienten ...
00:26:58
Speaker
Eine sehr schlimme Erfahrung. Dadurch, dass er die klare Ansage gemacht hat, setzt sich mal jetzt jemand neben mich hier, damit ich mit jemandem zu zweit sprechen kann, hat er den anderen auch geholfen aus dieser Unsicherheit. Weil die wahrscheinlich sich alle auch nicht so ganz wohl gefühlt haben in dieser Situation, wo man neben dem anderen eigentlich ist. Und ich glaube auch da ...
00:27:19
Speaker
Kann ich als als Bekannter oder Freund oder Arbeitskollege, kann ich einfach fragen, sag mal, wie möchtest du es eigentlich? Möchtest du über diese Themen reden oder tut es dir gut, was anderes zu sprechen, was wir früher auch immer gemacht haben? Und das ja.
00:27:35
Speaker
Vielleicht können das die Betroffenen dann in dem Moment sagen oder eben wenn sie es nicht sagen können, dann kann man auch sagen, ja heute ist es gerade so. Heute würde ich gerne, dass du ein Bier trinkst. Ich gucke mal, was ich hier mache und lass uns darüber reden, wie wir früher Musik gemacht haben oder so.
00:27:51
Speaker
Ganz wichtige Punkte und ein ganz wichtiger Ampel von Ihnen. Vielen Dank für das interessante Gespräch. Dr. Weit hat in der ersten Folge gesagt, ich zitiere nur, weil eine Krankheit unheilbar ist, heißt das nicht, dass einem nicht geholfen werden kann. Ich glaube, das würden Sie wahrscheinlich auch unterschreiben.
00:28:11
Speaker
Unbedingt, ja, unbedingt. Frau Dr. Röseberg, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Gespräch genommen haben und uns hier im DCNE besucht haben. In der nächsten Episode wollen wir uns mit Patientenverfügung im Falle einer ALS beschäftigen. Ein Thema, was leider nicht unwichtig ist und auch bestimmt in psychologischen Beratungen immer eine Rolle spielt.
00:28:34
Speaker
Wenn Sie Fragen und Anmerkungen rund um das Thema ALS haben, schreiben Sie uns an information.dzne.de. Wir leiten Anfragen gerne an die Kollegen der ALS Ambulanz weiter oder nehmen Sie in einer späteren Episode auf. Wenn Sie die ALS-Forschung finanziell unterstützen wollen, wie das in diesem Falle durch Bruno Schmidt auch bei Frau Dr. Röseberg passiert ist,
00:28:57
Speaker
können Sie dies gerne über die DZNE-Stiftung tun. Weitere Infos dazu gibt es unter dzne.de. Vielen Dank fürs Zuhören.